Wissenschaftliche Anerkennung psychotherapeutischer Verfahren

Die Frage, inwieweit es sich bei den angewandten Psychotherapieformen um „wissenschaftlich anerkannte Methoden“ handelt, spielte im Vorfeld und bei der Umsetzung des Psychotherapeutengesetzes eine große Rolle. Dem im Psychotherapeutengesetz vorgesehenen „Wissenschaftlichen Beirat“ kam dabei eine gutachterliche Rolle für Behörden zu. Inzwischen hat er sich zum gemeinsamen „Wissenschaftlichen Beirat“ der Bundesärzte- und der Bundespsychotherapeutenkammer entwickelt und strebt an, durch Überprüfung wissenschaftlicher Unterlagen die Wissenschaftlichkeit der verschiedenen Psychotherapieverfahren festzustellen und ihre Wirksamkeit bei der Behandlung verschiedener psychischer Störungen zu bewerten. Es wird kritisiert, dass dazu keine rechtliche Grundlage besteht, seine Feststellungen aber normierenden Charakter haben.

Daneben regeln die „Psychotherapierichtlinien“ des Gemeinsamen Bundesausschusses Ärzte und Krankenkassen die zugelassenen Psychotherapieformen und die Modalitäten der Psychotherapie im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung. Beide Systeme standen bisher nebeneinander, und es gibt bis heute noch kein geregeltes Verfahren, wie die Erkenntnisse des „Wissenschaftlichen Beirats“ Eingang in die Psychotherapierichtlinien finden. (Während z. B die „Psychotherapie-richtlinien“ u. a. zwischen tiefenpsychologisch fundierter und psychoanalytischer Psychotherapie unterscheiden, empfiehlt der „Wissenschaftliche Beirat“ beide unter dem Begriff „psychodynamische Psychotherapie“ zusammenzufassen oder er sieht bei der „wissenschaftlichen Gesprächstherapie“ zwar bestimmte Diagnosen, bei denen diese Therapie als wissenschaftlich anerkannt gilt, dies in den Psychotherapierichtlinien aber keinen Niederschlag findet.)

Es gibt keinen Bereich in der Heilkunde, der sich durch eine solche Heterogenität wie die Psychotherapie auszeichnet. Eine Zusammenstellung allein der nachfolgend aufgeführten 35 Fachgesellschaften, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, macht deutlich, wie der Bereich Psychotherapie von einer Methoden- und Schulenvielfalt gekennzeichnet ist und wie schwer es ist, eine überschaubare Fach- und Berufspolitik zu gestalten:

Arbeitsgemeinschaft Psychotherapeutischer Fachverbände (AGPF)
Arbeitsgemeinschaft für Verhaltensmodifikation e. V. (AVM)
Berufsverband der approbierten Gruppenpsychotherapeuten (BAG)
Berufsverband der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten e.V. (BKJ)
Bundesverband der Krankenhauspsychotherapeuten (BVKP)
Berufsverband der Psychologischen Psychoanalytikerinnen und Psychoanalytiker (BPP in der DGPT)
Bundesverband der Vertragspsychotherapeuten (bvvp)
Bundesvereinigung Verhaltenstherapie im Kindes- und Jugendalter e.V. (BVKJ)
Deutsche Fachgesellschaft für tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie e.V. (DFT)
Deutscher Fachverband für Verhaltenstherapie (DVT)
Deutsche Gesellschaft für Analytische Psychologie (DGAP)
Deutsche Gesellschaft für Analytische Psychotherapie und Tiefenpsychologie (DGAPT)
Deutsche Gesellschaft für Individualpsychologie (DGIP)
Deutsche Gesellschaft für Körperpsychotherapie (DGK)
Deutsche Gesellschaft für Psychologie, Fachgruppe Klinische und Psychotherapie (DGPs)
Deutsche Gesellschaft für psychologische Schmerztherapie und –forschung (DGPSF)
Deutsche Gesellschaft für Suchtpsychologie (DGSPS)
Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung e.V. (DGfS)
Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie und Familientherapie (DGSF)
Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie (DGVT)
Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft (DPG)
Deutsche Psychologische Gesellschaft für Gesprächspsychotherapie (DPGG)
Deutscher Psychotherapeuten Verband (DPTV)
Deutsche Psychoanalytische Vereinigung (DPV)
Gesellschaft zur Förderung der Methodenvielfalt in der Psychologischen Psychotherapie e.V. (GMVPP)
Gesellschaft für Neuropsychologie (GNP)
Gesellschaft für wissenschaftliche Gesprächspsychotherapie (GwG)
Milton Erickson Gesellschaft für Klinische Hypnose (M.E.G.)
Neue Gesellschaft für Psychologie (NGfP)
Sektion Analytische Gruppenpsychotherapie im DAGG
Systemische Gesellschaft (SG)
Verband Psychologischer Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten im BDP e.V. (VPP im BDP)
Vereinigung Analytischer Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten (VAKJP)
Vereinigung der Kassenpsychotherapeuten (Vereinigung)
Verband für Integrative Verhaltentherapie (VIVT)

Berufständische, schulenspezifische und verbandliche Interessen verbunden mit unterschiedlicher Aus- und Weiterbildung sind Gründe dafür, dass hinsichtlich einer allgemein verbindlichen Qualitätssicherung und Leitlinien das Gebiet Psychotherapie noch nicht die Standards anderer Bereiche der Heilkunde erreicht hat.

Psychotherapeutenausbildung

Die durch das Psychotherapeutengesetz bzw. der dazugehörigen Ausbildungsordnung geregelte Berufausbildung psychologischer Psychotherapeuten ist nach der erfolgten bedarfsunabhängigen Zulassung durch die Übergangslösung des Psychotherapeutengesetzes – gewollt oder ungewollt – ein Instrument zur Steuerung der zukünftigen Kapazitäten. Besonderer Kritikpunkt dabei ist von Seiten der psychologischen Psychotherapeuten die praktische Ausbildung („Psychiatrisches Jahr“ sowie ein weiteres halbes Jahr in psychotherapeutischer Einrichtung) im Rahmen der Ausbildung psychologischer Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendtherapeuten.

Da diese Zeit unbezahltes Praktikum ist, bedeutet es für die Ausbildungsteilnehmer eine starke finanzielle Belastung und eine soziale Selektion, da eher Psychologinnen und Psychologen diese Ausbildung absolvieren können, die über entsprechende Finanzmittel und/oder eine/n Partner/in verfügen, der/die in der Lage ist, diese Ausbildung zu finanzieren.

In diesem Zusammenhang spielt durch die z. Z. gültige Ausbildungsordnung eine weitere „Härte“ eine gewichtige Rolle: Psychologinnen und Psychologen, die vor einer Ausbildung durch berufliche Tätigkeit z. B. im psychiatrischen Krankenhaus fundierte Erfahrungen gesammelt haben – was im Grunde wünschenswert ist – müssen nach Beginn der Ausbildung erneut das praktische Jahr als Praktikum absolvieren und eventuell sogar ihre bisherige Anstellung aufgeben. Eine Flexibilisierung der Ausbildungsordnung wäre insofern geboten, indem praktische Vorerfahrungen anerkannt werden könnten. Dies würde in vielen Fällen soziale Härten mildern und eine wünschenswerte praktische Tätigkeit vor der Ausbildung fördern.

Quelle:
„Psychiatrie in Deutschland – Strukturen, Leistungen, Perspektiven“
erarbeitet von der Arbeitsgruppe Psychiatrie der Obersten Landesgesundheitsbehörden im Auftrag der Gesundheitsministerkonferenz (76. Sitzung, Beschluss vom 02./03.07.2003)
Herausgeberin: Gesundheitsministerkonferenz der Länder 2007, Vorsitzende: Dr. Monika Stolz, Baden-Württemberg
Ansprechpartner: Psychiatriereferentinnen und Psychiatriereferenten der Bundesländer
Stand: Februar 2007
Auflage: 1. Auflage, 2007

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Quelllink: http://www.dgppn.de/fileadmin/user_upload/_medien/dokumente/referate/versorgung-sozialmedizin/Psychiatrie_in_Deutschland._Strukturen-Leistungen-Perspektiven.pdf

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