7 Gedanken zu „Forschung: Warum Missbrauchsopfer zu Tätern werden“

  1. Stellungnahme zum aktuellen Forschungsprojekt „Von Generation zu Generation“

    Betroffene sexueller Gewalt durch neues Forschungsprojekt diskriminiert

    Berlin – Mit dem Ziel im Themenkomplex Gewalt gegen Kinder, also auch im Bereich sexuellen Missbrauchs, erfolgreich präventiv wirken zu können forschen Wissenschaftler der Charité-Universitätsmedizin Berlin und des Universitätsklinikums Heidelberg mit Kollegen des Universitätsklinikums der RWTH Aachen sowie der Otto-Guericke-Universität Magdeburg im gemeinsamen Projekt „Von Generation zu Generation: Den Teufelskreis der Traumatisierung verstehen und durchbrechen“.
    Im Rahmen des Forschungsnetzes „Missbrauch, Vernachlässigung und Gewalt im Kindes- und Jugendalter“ wird das Vorhaben vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert, bestätigte dessen Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Helge Braun am 05.07.2012 bei der Vorstellung des Projekts in Berlin.

    Ziele

    Durch das Forschungsprojekt „Von Generation zu Generation“ sollen Ursachen für die Gewaltanwendung innerhalb von Familien gegenüber Kindern und Jugendlichen ergründet werden, um dieser wirkungsvoll vorbeugen sowie einen geeigneten Therapieansatz entwickeln zu können. So, erklärte Dr. Helge Braun, trüge dieses Projekt zum Schutz der Kinder und zu einer Kultur des Hinschauens bei. Das Leben der noch ungeborenen Kinder oder Säuglinge von Eltern, die aufgrund von (sexueller) Gewalt traumatisiert sind, soll vor einer Weitergabe dieser Gewalt bewahrt und so vor den damit verbundenen lebenslangen Traumafolgestörungen geschützt werden.

    Diskriminierend

    Fokussiert werden hierbei vorrangig traumatisierte Eltern, wobei sich die beteiligten Forschungszentren auf verschiedene Risikogruppen von Müttern konzentrieren wollen, beispielsweise jugendliche Mütter, oder solche mit schwer belastenden Lebenserfahrungen und auch bei vorliegenden depressiven Störungen. Allerdings stellt dieses Vorhaben für Opfer sexueller Gewalt eine Diskriminierung dar, schließlich wird von sexuellem Missbrauch und Vernachlässigung betroffenen Müttern vorgeworfen, sie gäben diese Erfahrungen häufig an ihre Kinder weiter. Die dem Projekt zu Grunde gelegte Aussage, die Übertragung von Gewalt in die folgende Generation würde leider sehr häufig beobachtet, ist tatsächlich eher spärlich und wirkt zudem äußerst intransparent. Doch wird der Öffentlichkeit auf diese Weise suggeriert, Opfer sexueller Gewalt würden tendenziell dazu neigen, selbst zum Täter an den eigenen Kindern zu werden. Es wird der Anschein von einer generellen Unfähigkeit die Gefühle der Kinder einzuordnen und angemessen zu reagieren sowie eines allgemeinen Fürsorgedefizits bei betroffenen Müttern vermittelt, dem so nicht entsprochen werden kann.

    Entsprechende Kenntnisse bereits vorhanden

    Fragwürdig ist außerdem das deklarierte Ziel des Forschungsprojekts durch ein besseres Verständnis vor Gewalt und Missbrauch schützen zu wollen, denn entsprechende Kenntnisse über mögliche Ursachen von der Übertragung eigener Erfahrungen in die nächste Generation sind bereits vorhanden. Versierte Vertreter der Forschung verfügen hinsichtlich der Entwicklung eines Therapieansatzes über das notwendige Wissen. Es ist hinreichend bekannt, dass eine vollständige Erinnerung an ein traumatisches Ereignis aus verschiedenen Komponenten besteht: Das Wissen, die zugehörigen Bilder und Gefühle sowie Körperempfindungen werden im Gehirn getrennt voneinander abgespeichert. Offenbar wird hier von den Wissenschaftlern davon ausgegangen, dass das Wissen von den traumatischen Erfahrungen vorhanden ist, betroffene Mütter jedoch keinen Zugang zu den schmerzlichen Gefühlen und Körperempfindungen haben. Andernfalls wären sie sich sicherlich der Schwere dieser Erfahrungen bewusst und würden die Situation einordnen und angemessen reagieren können, indem sie ihre Kinder schützen. Erfahrungsgemäß verhält es sich bei der Mehrheit der Betroffenen aber genau umgekehrt, das Wissen und die Bilder sind ihnen zumeist über viele Jahre hinweg zum Selbstschutz nicht zugänglich, einzig die verschiedenen schmerzlichen Gefühle, wie Angst, Scham und Trauer sowie die Körperempfindungen sind in ihrem Bewusstsein. Sie entwickeln eine dunkle Ahnung von dem, was ihnen widerfahren sein könnte und setzen alles daran, die Wiederholung beim eigenen Kind zu verhindern. Entsprechende Therapieansätze zur Vervollständigung von Erinnerungen an traumatische Gewalterfahrungen sind im Bereich der Traumatherapie bereits vorhanden.

    Fazit

    In der Gesamtheit betrachtet wird nicht deutlich klar, welche Intention diesem Forschungsprojekt tatsächlich zu Grunde liegt. Es bestehen auch andere durchaus wirkungsvolle Möglichkeiten der Prävention, so kann eine bewusste Stärkung des Selbstvertrauens bei Kindern viel bewirken. Auch kann eine Sensibilisierung der Gesellschaft in Anbetracht der Hinweise auf sexuellen Missbrauch und entsprechender Handlungsmöglichkeiten sehr hilfreich sein, um erfolgreich präventiv agieren zu können. Ebenso kann die Auseinandersetzung mit den Strategien der Täter eine wirksame Präventionsmaßnahme sein. Hier allerdings wird scheinbar den Opfern die Verantwortung zugeschoben, indem sie offenbar überwiegend zu Tätern werden. Nach zwei Jahren intensiver Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex „Sexueller Kindesmissbrauch“ ist dies ein enttäuschendes Ergebnis.

    i.A. Katja Schönfeld und Maren Ruden

    Ingo Fock
    gegen-missbrauch e.V.

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  2. Bei einem Steuerhinterzieher würde niemand auf die Idee kommen, seine Kindheit zu beleuchten und Rückschlüsse für sein Vergehen daraus ziehen.
    Doch werden diese Taten schärfer geahndet als sexualisierte Gewalt an Kindern.
    Nicht nur die Fakten werden hier in dem Forschungsergebnis verdreht, bei uns in Deutschland ist auch die Gesetzgebung verdreht. Der Fisch stinkt vom Kopf her!!!

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  3. Was so besonders ärgerlich ist, dass allein mit der Ankündigung (und der Sprachwahl dieser Ankündigung) eines solchen Forschungsprojektes schon wieder Falschinformationen und Mythen gestreut werden. Die „Normalsterblichen“ (also Nicht-direkt-betroffenen) reflektieren so eine Meldung ja nicht vor demselben Hintergrund wie wir Betroffenen-ExpertInnen. Bei ihnen kommt nur die (falsche) Gleichung „Missbrauchsopfer werden zu Tätern“ an. Und da die meisten davon ausgehen, dass es nur sehr wenige Missbrauchsopfer gibt, glauben sie dann auch, dass es nur sehr wenige Täter gibt, bzw. dass der „Normalbürger“ (der ja nach landläufiger – falscher – Ansicht kein Missbrauchsopfer ist) „sowas“ nicht tut.

    In dieser Ausschreibung stecken so viele Opfer-Stigmata, dass es echt weh tutu und verboten gehört! Und das von so genannten „Fachleuten“.

    Indirekt steckt darin beispielsweise auch eine Art „Entschuldigung“ für die Täterseite. Die werden jetzt zu „Opfern“ und das wird in der Konsequenz dazu führen, dass ihnen mit noch mehr Nachsicht und Verständnis im Strafverfahren (und vielleicht auch anderswo) begegnet wird. Dass sie notorische Straftäter sind und bewusst gegen Gesetze verstoßen, wird immer noch ausgeblendet. Im Gegensatz zu anderen Straftätern wird Sexualstraftätern regelmäßig mit Verständnis begegnet. jedenfalls vonseiten der Justiz und der „Experten“!

    Ein Letztes: Wieder einmal wird hier die Geschlechtsspezifik der Täterschaft unterschlagen. Auch wenn es sicherlich weibliche Täterinnen gibt; Fakt ist bislang, dass der überwiegende Großteil der Täter MÄNNLICH ist. Auch die Forschung hat längst bestätigt, dass die Wiederholung der Täterschaft, also die Abwehr des Opfererlebens durch Ausagieren von Gewalt nach außen auf andere Personen, überwiegend die MÄNNLICHE ART ist, mit den erfahrenen Verletzungen umzugehen. Von weiblichen Opfern (die noch immer die Mehrzahl bilden!) weiß man, dass sie die erlebte Gewalt eher nach innen gegen sich selbst richten.

    Das heißt, hier wird schon in der verallgemeindernden Ausschreibung des Forschungsprojektes ein völlig falscher Blickwinkel auf die Problematik manifestiert. So werden der Großteil der Opfer (nämlich weibliche) ungerechtfertigterweise diffamiert (und z.B. in die „böse Mutter“-Ecke gestellt, was von uralten, u.a. christlich verankerten Negativzuschreibungen an das Weibliche unterstützt wird), während es für die – tatsächlich aggressiv nach außen agierenden – männlichen Opfer/Täter zur Entlastung beiträgt.

    All solche Missverständlichkeiten und Schrägheiten aufzudecken und zu thematisieren, um weitere Falschergebnisse zu vermeiden, wäre meiner Meinung nach Aufgabe des „Unabhängigen“; an dieser Stelle müssten mittlerweile so viele Forschungsergebnisse und bisherige wissenschaftliche Erkenntnisse zusammengeflossen sein, dass dort die Verzerrungen und Missinterpretationen wahrgenommen und entsprechend gemaßregelt werden könnten (müssten). Dort müsste endlich begonnen werden, das öffentliche Bild der Opfer und der gesamten Umstände, die mit Opferwerdung und Tätersein zusammenhängen, zurecht zu rücken, bzw. für Aufklärung und Richtigstellung zu sorgen.

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  4. es scheint noch nicht genug das wir opfer mit unseren erlebnissen ein leben lang leben müssen und zu kämpfen haben. Nein, wir stehem immer in der beweispflicht, dürfen um unsere therapien kämpfen und selbst nachforschungen anstellen, welche möglichkeiten man hat.

    die neuste idee ist, das missbrauchsanzeigen unter der betrachtung eines racheaktes beleuchtet werden und nun werden auch noch die opfer zu tätern deklariert

    wo bitte soll der sinn liegen in dieser aussage? der grossteil lehnt strikt gewalt ab, da sie selbst welche erfahren haben. ich sage nicht, das es mit sicherheit auch opfer von verbrechen gibt, die straffällig werden. aber was müssen sich betroffene noch bieten lassen?

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  5. Einfach unglaublich, was sich Betroffene immer wieder anhören und lesen müssen.
    Auch ich bin Betroffene, habe aber keines meier vier Kinder missbraucht, vernachlässigt oder geschlagen.
    Es macht wütend.
    Gut, dass wir Betroffene die Fähigkeit entwickelt haben, selber zu reflektieren und unser Leben verantwortungsbewusst zu leben. Dazu gehört auch, dass wir unsere Kinder zu selbständigen und aufrechten und geliebten Menschen erziehen.

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  6. Allein die Überschrift ist eine Frechheit! Klingt gerade so, als wären alle Opfer zwangsläufig Täter! Ich frage mich allen Ernstes, welche „Spezialisten“ dieses Forschungsprojekt in Angriff genommen haben.

    Fatal auch, dass wieder einmal Menschen mit Tieren verglichen werden. Es sollte sich doch auch in Berlin, Heidelberg, Magdeburg und Aachen bereits herumgesprochen haben, dass die Vergleiche gewaltig hinken und die moderne Gesellschaft zunehmend Abstand nimmt von Tierversuchen und den draus resultierenden Schlussfolgerungen.

    Ja, ich war Opfer und NEIN, ich habe meine Kinder nicht missbraucht!!!

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