Häufige Fragen zu sexualisierter Kindesmisshandlung

… und ihre Antworten.

Die FAQ wurden zusammengestellt von Miss Marple. Quellen: Siehe Bücherliste 1 von Miss Marple.

Was ist sexueller Missbrauch?
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Der Begriff „sexueller Missbrauch“ wird von den Opfern weitestgehend abgelehnt. Zum Einen ist er sehr stark negativ besetzt, und löst daher eher Abwehr und „Nicht-wissen-wollen“ als Mitgefühl aus. Zum Anderen wirkt er verschleiernd und nutzt daher eher den Tätern. Der Begriff „sexueller Missbrauch“ verschleiert die Gewalt, das Machtgefälle und die Herabsetzung des Kindes zum Befriedigungsobjekt.
Beim richtigen Namen genannt – nämlich „sexualisierte Kindesmisshandlung“ oder „sexualisierte Gewalt“ – , wird dagegen deutlich, dass es sich um die Ausnutzung einer Machtposition und um Gewalt handelt.
Der so genannte „sexuelle Missbrauch“ hat daher auch überhaupt nichts mit Sexualität zu tun. Die Täter benutzen „Sexualität“ nur als Instrument, um eigene – sexuelle und nichtsexuelle – Bedürfnisse gewalttätig unter Ausnutzung ihrer Machtposition durchzusetzen, bzw. zu befriedigen.

 

Was ist sexualisierte Kindesmisshandlung?
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Adams & Fay (1989) geben folgende kindgerechte Definition von sexualisierter Kindesmiss-handlung: „Sexueller Missbrauch ist das, wenn dich jemand berührt oder dazu bringt, ihn zu berühren, und dich damit ganz durcheinanderbringt oder wenn du die Berührung vielleicht gar nicht gewollt hast. Vielleicht versucht jemand, dich gegen deinen Willen an der Scheide oder am Penis zu berühren oder dich gegen deinen Willen dazu zu bringen, seinen Penis zu berühren.“
Kennzeichnend für sexualisierte Kindesmisshandlung ist ein Machtgefälle zwischen Täter und Opfer, wobei der Täter seine Autoritätsstellung oder Vertrauensposition ausnutzt, um seine eigenen Bedürfnisse auf Kosten der abhängigen Person zu befriedigen. Sexualisierte Kindesmisshandlung ist somit Missbrauch von Macht in Erziehungs-, Betreuungs- und Ausbildungsverhältnissen oder auch von Machtungleichheiten bei Geschlechtern (Weber & Rohleder 1995).
Einig sind sich Wissenschaftler/innen darüber, dass alle sexuellen Handlungen, die durch Drohungen oder körperliche Gewalt erzwungen werden, sexualisierter Kindesmisshandlung sind. Ebenso einhellig gilt als sexuelle Gewalt, wenn die sexuellen Kontakte gegen den Willen eines Kindes oder eines Jugendlichen stattfinden.
Eine geläufige Definition der sexualisierten Kindesmisshandlung ist der sexuelle Übergriff von Erwachsenen auf Jugendliche bzw. Kinder. Erwachsene benutzen die Kinder zur Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse. Steinhage (1992): „Sexueller Missbrauch liegt immer dann vor, wenn ein Erwachsener sich einem Kind in der Absicht nähert, sich sexuell zu erregen oder zu befriedigen.“ Fast immer nützt der Täter dabei ein Macht- und Abhängigkeitsverhältnis aus.
Adams & Fay (1989) geben folgende kindgerechte Definition von sexualisierter Kindesmiss-handlung: „Sexueller Missbrauch ist das, wenn dich jemand berührt oder dazu bringt, ihn zu berühren, und dich damit ganz durcheinanderbringt oder wenn du die Berührung vielleicht gar nicht gewollt hast. Vielleicht versucht jemand, dich gegen deinen Willen an der Scheide oder am Penis zu berühren oder dich gegen deinen Willen dazu zu bringen, seinen Penis zu berühren.“
Kennzeichnend für sexualisierte Kindesmisshandlung ist ein Machtgefälle zwischen Täter und Opfer, wobei der Täter seine Autoritätsstellung oder Vertrauensposition ausnutzt, um seine eigenen Bedürfnisse auf Kosten der abhängigen Person zu befriedigen. Sexualisierte Kindesmisshandlung ist somit Missbrauch von Macht in Erziehungs-, Betreuungs- und Ausbildungsverhältnissen oder auch von Machtungleichheiten bei Geschlechtern (Weber & Rohleder 1995).

 

Welche Signale zeigt ein kindliches Opfer sexualisierter Misshandlungen?
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Amerikanische Untersuchungen haben ergeben, dass bis zu 40 Prozent der kindlichen Opfer unmittelbare Folgewirkungen in Form von auffälligen Verhaltensweisen und teils massiven psychischen Beeinträchtigungen aufweisen.
Verbale Signale: Ein Kind erzählt oder macht Andeutungen gegenüber einer Person, zu der es großes Vertrauen hat (z.B. Mutter, Verwandtschaft, Lehrerin etc.). Oft sind diese Andeutungen recht zaghaft, da das Kind sich selbst nicht sicher ist, was da mit ihm passiert ist. Die Kinder haben natürlich auch oft Formulierungsschwierigkeiten wenn sie über das Erlebte sprechen wollen. In der Folge hängt es dann von der Vertrauensperson ab, ob der Missbrauch aufgedeckt wird bzw. beendet werden kann.
Nonverbale Signale: Sollte das Kind bei den Versuchen, sich Gehör für das Problem zu schaffen, scheitern, wird es Signale setzen, die auf den Missbrauch aufmerksam machen sollen. Solche Signale sind Verhaltensänderungen und Verhaltensweisen, die den Menschen in der Umgebung meistens auch auffallen. Einige Signale sind z.B. Schulschwierigkeiten, Verbesserung der Schulleistungen um zu kompensieren, Erzählungen von unwahrscheinlichen Geschichten über zu Hause, Selbstzerstörung wie Nägelkauen, sich hässlich machen, Selbstmordversuche, Bettnässen, Waschzwang, den Körper nicht herzeigen wollen, Ausreißen von zu Hause, Essprobleme etc. (Quelle: Prof. Dr. Werner F. J. Stangl, Institut für Pädagogik und Psychologie der Johannes Kepler Universität Linz)
Der Kinderpsychiater Andreas Krüger nennt folgende mögliche erste Anzeichen für sexuellen Missbrauch oder versteckte Hilferufe: Plötzliches Zurückziehen, Depressionen, Essstörungen, Selbstverletzungen, ein nicht altersgemäßes, stark sexualisiertes Verhalten, Trennungsängste und auch regressives Verhalten – wenn etwa größere Kinder plötzlich wieder Daumenlutschen oder in der Babysprache sprechen. Auch erneutes Einkoten oder Bettnässen bei nicht mehr ganz kleinen Kindern sind mögliche Anzeichen. Aber man muss genau hinschauen, es kann auch etwas ganz anderes hinter solchen Verhaltensweisen stecken. (Stern.de, 2010)
Die Rechtsmedizinerin Prof. Dr. med. Elisabeth Trube-Becker („Missbrauchte Kinder“, 1992): „Zu den Folgen in frühkindlicher Zeit gehören ähnlich der seelischen Folgen nach körperlicher Misshandlung in erster Linie: Anklammern an die Mutter, Aufschreien in der Nacht, Angstzustände, Appetitlosigkeit, Bettnässen, Schule schwänzen, Weglaufen von zu Hause, Weigerung zu spielen. Manche Folgen, vor allem Essstörungen bis zur Magersucht, Nägelkauen, Stottern, von zu Hause wegbleiben, bis der Vater zu Bett gegangen ist, können typische Signale darstellen, auf die Erwachsene gar nicht oder falsch reagieren.“

 

Warum ist sexualisierte Kindesmisshandlung „Seelenmord“?
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„Seelenmord“ wurde von der Autorin Ursula Wirtz als Begriff geprägt. Wirtz nennt sexualisierte Kindesmisshandlung einen „Angriff auf die menschliche Würde, auf die seelische und körperliche Integrität und damit die Identität des Kindes“. Das wahre Selbst des Kindes, sein Kern, seine Seele, das, mit dem es bereits auf diese Welt kam, wird durch die Übergriffe „ermordet“, so Wirtz. Das „Seelenmordende“ beschreibt die US-amerikanische Psychiaterin Judith L. Herman (Die Narben der Gewalt, Junfermann 2003) so: „Bei Erwachsenen greift wiederholtes Trauma eine bereits geformte Persönlichkeit an, bei Kindern dagegen prägt und deformiert wiederholtes Trauma die Persönlichkeit.“
Die Psychologin Monika Gerstendörfer (Der verlorene Kampf um die Wörter, 2007): „Es gibt tatsächlich keine zuverlässigere Methode, einem Menschen die Existenz zu nehmen, als an ihr oder ihm sexualisierte Gewalt auszuüben. Diese Gewaltform ist das wirksamste Vehikel, um einen Menschen zu zerstören.“
Die Rechtsmedizinerin Prof. Dr. med. Elisabeth Trube-Becker („Missbrauchte Kinder“, 1992): „Die sexuelle Ausbeutung eines Kindes stellt, wenn auch häufig nicht als solche angesehen, eine Gewalttat gegen das Kind mit besonders gravierenden Folgen dar. Dabei ist der sexuelle Missbrauch eines Kindes in der Familie, in der wir es als wohlbehütet und geborgen wähnen, das Schlimmste, was einem Kind geschehen kann.“
Die Autorinnen Barbara Kavemann und Ingrid Lohstöter („Väter als Täter“, 1984) beschreiben es als eine Auslöschung der Persönlichkeit des Kindes: „Sexueller Missbrauch vermittelt einem Mädchen, dass es nicht als Mensch interessant und wichtig ist, sondern dass Männer frei über es verfügen dürfen; dass es durch seine Reduzierung zum Sexualobjekt Bedeutung erlangt; dass es mit körperlicher Attraktivität und Einrichtungen ausgestattet ist, um Männern „Lust“ zu beschaffen.“

 

Je näher der Täter dem Opfer, desto schlimmer?
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Studien belegen: Je enger und vertrauter die Beziehung zwischen Opfer und Täter war, desto traumatischer wirkt meist der sexuelle Missbrauch. Je mehr ein Kind einem Erwachsenen vertraut hat und auf dessen emotionale Unterstützung angewiesen war, desto größer ist der Vertrauensverlust, der Verrat, die Enttäuschung, die gefühlsmäßige Zerrissenheit und Verwirrung des Kindes über die erlittene Gewalt. (Anette Lache, STERN.de)
„Das Schlimmste, was einem Kind passieren kann, ist, wenn der Täter die Mutter oder der Vater ist. Das ist eine seelische Wunde, bei der man sich fragen muss: Ist sie überhaupt heilbar? Studien haben gezeigt, dass die traumatische Erfahrung für das Kind umso gravierender wird, je enger die Opfer-Täter-Beziehung war, je jünger das Opfer ist, je häufiger es zu sexuellen Misshandlungen kam beziehungsweise je länger dies andauerte. Auch körperliche Gewalt und die Androhung von Strafen verschlimmern die Folgen“, so der Kinderpsychiater Andreas Krüger.
Am schwersten verarbeitbar sind Erfahrungen der eigenen Ohnmacht und des Ausgeliefertseins immer dann, wenn das Trauma durch andere Menschen ausgelöst wird und wenn das Opfer sich zudem emotional mit diesen Menschen verbunden fühlt (z.B. Missbrauch oder Vergewaltigung durch Angehörige), wenn psychosoziale Unterstützung fehlt (Isolation), wenn die bisherige Sinngebung der eigenen Lebensgestaltung zerstört wird (Glaube, Liebe, Hoffnung) und wenn mehrere traumatische Erfahrungen aufeinander folgen (multiple Traumatisierung).

 

Was wollen die (erwachsenen) Opfer?
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Die (erwachsenen) Opfer wollen zuallererst, dass ihnen geglaubt wird. Bislang werden ihnen ihre Erlebnisse, ihr Schmerz, ihre Todesangst abgesprochen. Durch die öffentliche Tabuisierung und das kollektive Wegsehen fühlen sich die kindlichen Opfer mit ihren überfordernden Erlebnissen alleingelassen.
Die (erwachsenen) Opfer wünschen sich daher eine Anerkennung dessen, was ihnen geschehen ist. Die Opfer wollen, dass ihre Integrität wiederhergestellt wird. Dass man sie nicht länger als Lügner/innen hinstellt. Sie wünschen sich ENDLICH Mitgefühl und Verständnis für ihr schweres Leid und die Folgen für ihr Leben.
„Mord muss ans Tageslicht. Die Erinnerung an furchtbare Ereignisse und das Aussprechen der grässlichen Wahrheit sind Vorbedingungen für die Wiederherstellung der gesellschaftlichen Ordnung, für die Genesung der Opfer“ , schreibt dazu Judith Herman (Die Narben der Gewalt, Junfermann 2003)
Entschädigungszahlungen sind da nur eine Nebensache, die letztlich nur deshalb notwendig sind, weil so viele Berufswege gescheitert sind, viele erwachsene Opfer von Erwerbsunfähigkeitsrente oder Sozialfürsorge leben müssen, häufig schwer chronisch krank sind, Therapien benötigen und entsprechende Ausgaben zu bewältigen haben.
„Was traumatisierte Menschen am meisten schätzen – oder eben vermissen – , ist „ein guter, heilsamer Ort, menschlicher Beistand, die Anerkennung des erlittenen Unrechts und das Gefühl, als einzigartiger Mensch mit individuellen Bedürfnissen und Stärken und in ihrer Not gesehen und unterstützt zu werden.“ (Claudia Igney, VIELFALT e. V.)

 

Warum schweigen die Opfer so lange?
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Sexualisierte Kindesmisshandlung ist mit Stress und tiefer Scham verbunden. Gerade deshalb aber sind Erinnerungen auch nach Jahrzehnten oft sehr klar. „Sie haben einen bestimmten Stellenwert, und deshalb bleiben sie. Ich komme aber an sie nicht ran, das macht es so schwer, rechtzeitig mit diesen Erinnerungen rauszukommen. Man braucht erst einen bestimmten Abstand, man braucht eine Basis, aufgrund derer man sich erinnern kann, und das ist dann unter Umständen später als diese zehn Jahre.“ (Thomas Schlingmann, Beratungsstelle „Tauwetter e.V.“)
Ehemalige Opfer von sexualisierter Kindesmisshandlung sind zunächst viele Jahre damit beschäftigt, mit ihrer in Unordnung gebrachten inneren Welt irgendwie den äußeren Anforderungen (Berufswahl, Familiengründung, gesellschaftliche Etablierung) gerecht zu werden. Sie sind zunächst froh, das alles hinter sich lassen zu können und nicht mehr dran denken zu müssen. Erst, wenn – meist erst im dritten oder vierten Lebensjahrzehnt – langsam und durch viele schmerzhafte Erfahrungen wie Scheitern im Beruf, Trennungen, Krankheit usw. ein Gefühl für das Unrecht aufkommt, das einem angetan wurde, finden manche die Kraft, nicht mehr zu schweigen.
Traumatische Erinnerungen weisen zudem eine Reihe von Besonderheiten auf. Anders als die gewöhnlichen Erinnerungen von erwachsenen Menschen sind traumatische Erinnerungen nicht als verbale, lineare Erzählung gespeichert; stattdessen sind sie in Form intensiver Gefühle und deutlicher Bilder gespeichert. Umso schwerer sind sie in Worte zu fassen oder in kausalen Zusammenhängen darzustellen.
Weil das Wiedererleben einer traumatischen Erfahrung so starke schmerzliche Gefühle weckt, vermeiden Traumatisierte solche Erfahrungen, soweit es in ihrer Macht steht.
Nicht zuletzt erlebt das erwachsen gewordene traumatisierte Kind, wie die Gesellschaft mit Überlebenden von sexualisierter Kindesmisshandlung umgeht. Es erlebt, dass noch immer die Täter und ihre Mittäter auf Nachsicht und Verständnis in der Gesellschaft hoffen können, die Opfer dagegen als „mitverantwortlich“ erneut beschämt werden. Viele Traumata berühren zudem Tabuthemen. Um sexualisierte Kindesmisshandlung, Inzest und Vergewaltigung gibt es eine gesellschaftliche Mauer des Schweigens, die Betroffene überwinden müssen, wenn sie von ihren Erlebnissen berichten möchten.

 

Warum dauert es oft so lange, bis Betroffene sich zu Wort melden?
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Untrennbar mit der Erfahrung der sexualisierten Kindesmisshandlung ist das Nicht-darüber-reden-können (und dürfen) verknüpft. Vor allem bei sexualisierter Kindesmisshandlung innerhalb der Familie ist Schweigen das oberste Gebot.
So sehr sich die Kinder das auch wünschen, sie können nicht darüber sprechen. Die Drohung des Täters, sie zu prügeln oder gar zu töten, kommt nicht selten vor, ist aber oft genug nicht nötig. Das Kind ist gewöhnt, aufgrund der Autorität des Erwachsenen zu gehorchen.
Das Netz, das die Kinder umspinnt und deren Schweigen sichert, ist engmaschig. Angst, Scham, Schuldgefühle, Bedrohung, Erpressung, Bestechung, Lügen, Unglauben, Rücksicht auf die Familie und das Schweigen machen alle noch viel schlimmer. Keine Aussicht auf ein Ende des Missbrauchs, Steigerung der sexuellen Gewalt und die Gewissheit, dem allen hilflos und ohnmächtig ausgeliefert zu sein. Wagen es die Opfer doch einmal, das Schweigen zu brechen, stoßen sie oft auf Unglauben, Ablehnung, Vorwürfe oder gar Beschimpfungen von allen Seiten („Lolita“). (Quelle: Prof. Dr. Werner F. J. Stangl, Institut für Pädagogik und Psychologie der Johannes Kepler Universität Linz)
Auch wenn wir Opfer erwachsen sind, erleben wir doch tagtäglich, wie in unserer Gesellschaft mit solcherart Vorkommnissen und vor allem mit den betroffenen Opfern umgegangen wird:
Wir werden – häufig aus Unkenntnis – infrage gestellt („Warum nicht schon früher gewehrt?“ Warum nicht schon früher etwas gesagt?“), für die Botschaften, die wir bringen, als „Familienzerstörer/innen“, „Nestbeschmutzer/innen“, „sich-wichtig-machen-Wollende“ diffamiert. Unsere Glaubwürdigkeit wird untergraben, es wird gefragt, ob wir uns auch „richtig gewehrt“ hätten oder nicht vielleicht doch „Spaß“ daran gehabt hätten? Uns werden niedere Motive wie Rache oder Neid unterstellt und damit unser Anspruch auf Gerechtigkeit und Rehabilitation untergraben.
Nicht zuletzt hindert die aktuelle strafrechtliche Situation in Deutschland, insbesondere die Ansicht, dass es sich bei sexualisierter Kindesmisshandlung lediglich um ein „Vergehen“ und nicht um ein Verbrechen handelt, sowie die opferfeindlichen Verjährungsfristen die Opfer, sich zu Wort zu melden. Wozu einen Kampf aufnehmen, der eine beinahe unmenschliche persönliche und seelische Herausforderung darstellt, wenn es letztlich keine Möglichkeit gibt, den Täter rechtlich zur Verantwortung zu ziehen?

 

Warum erhalten eher die Täter als die Opfer Unterstützung?
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Bei Naturkatastrophen oder Ereignissen, die auf „höhere Gewalt“ zurückzuführen sind, fällt es leicht, Mitleid für die Opfer zu empfinden, erläutert Judith L. Herman (Die Narben der Gewalt, Junfermann 2003). Ist das traumatische Ereignis jedoch Ergebnis menschlichen Handelns, ist der Außenstehende im Konflikt zwischen Opfer und Täter.
Die Versuchung, sich auf die Seite des Täters zu schlagen, sei groß, schreibt sie weiter, da der Täter vom Außenstehenden lediglich Untätigkeit erwartet. Er appelliert an den allgemein verbreiteten Wunsch, das Böse nicht zu sehen, nicht zu hören und nicht darüber zu sprechen.
Das Opfer dagegen erwartet vom Außenstehenden, dass er/sie die Last des Schmerzes mitträgt. Das Opfer verlangt Handeln, Engagement und Erinnerungsfähigkeit.
„Wenn Mädchen und Jungen über ihre Erlebnisse erzählen, erfahren sie oftmals, dass ihnen niemand glaubt oder dass ihnen vorgeworfen wird, selbst schuld zu sein. Selbst wenn teilweise anerkannt wird, was ein Kind durchgemacht hat, fällt es anderen Menschen schwer, sich mit dem Trauma und dem Schaden, den solche Erlebnisse verursachen, auseinanderzusetzen. Es wird verdrängt, was das Kind erlebt hat“, so der Tätertherapeut Ray Wyre (Die Täter, 1991).
In der Gesellschaft entstehe durch die herkömmliche Definition des Kindesmisshandlers als völlig anderen, fremden Triebtäter ein Frei- und Schutzraum für Männer, die – über jeden Verdacht erhaben – Kinder gefahrlos jahrelang sexuell ausnutzen können, so Barbara Kavemann und Ingrid Lohstöter („Väter als Täter“, 1984). „Mit dem Hinweis, man habe es hier ausnahmsweise mit einem ganz untypischen Fall zu tun, nämlich mit einem fleißigen, wertvollen Mitglied der Gesellschaft, sind sich Gutachter, Richter, Staats- und Rechtsanwälte einig: Vor ihnen steht kein Krimineller. Der Mann ist in Ordnung, ihm ist nur ein kleiner Fehler unterlaufen. Was ihm gebührt, ist keine Strafe, sondern allenfalls Beratung, höchstens Therapie.“

 

Hat es das Kind selbst gewollt?
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Kennzeichnend für sexualisierte Kindesmisshandlung ist immer ein Machtgefälle zwischen Täter und Opfer, wobei der Täter seine Autoritätsstellung oder Vertrauensposition ausnutzt, um seine eigenen Bedürfnisse auf Kosten der abhängigen Person zu befriedigen. Sexualisierte Kindesmisshandlung ist somit Missbrauch von Macht in Erziehungs-, Betreuungs- und Ausbildungsverhältnissen oder auch von Machtungleichheiten bei Geschlechtern (Weber & Rohleder 1995).
„Das grundsätzliche Autoritäts- und Machtgefälle zwischen Kindern und Erwachsenen bewirkt, dass es in den meisten Fällen keiner besonderen Gewaltanwendung bedarf, um ein Mädchen über Jahre hinweg zum schweigenden, scheinbar freiwilligen Opfer zu machen. Kinder – und vor allem Mädchen – leben immer mit einem latenten schlechten Gewissen. Denn nicht sie selbst setzen die Maßstäbe, nach denen ihr Handeln als gut oder böse bewertet wird, sondern die Erwachsenen tun das – oft genug willkürlich und für die Kinder unverständlich.“ (Kavemann/Lohstöter, 1984)
In einer Beziehung, für die ein so eindeutiges Machtgefälle wie zwischen Erwachsenem und Kind, bzw. Täter und Opfer kennzeichnend ist, hat das Kind überhaupt nicht die Macht und Autonomie, aktiv mitgestaltend tätig zu sein. Also ist auch die Behauptung, das Kind habe diese Taten gewollt oder provoziert, eine reine Täterschutzstrategie.
„Täter nutzen immer dieselben Ausreden: Es ist nie geschehen; das Opfer lügt; das Opfer übertreibt; das Opfer ist selbst schuld“ , stellt Judith L. Herman (Die Narben der Gewalt, Junfermann 2003) klar. Also ist die Idee (besser müsste man schreiben: die Unterstellung), dem kindlichen Opfer eine aktive, mitverantwortliche Rolle bei sexualisierter Kindesmisshandlung zuzuschreiben, zunächst eine Täterstrategie zur Täterentlastung.
Wenn kindliche Opfer in Einzelfällen sagen, dass sie „es“ auch „gewollt“ hätten, darf daraus nicht der Schluss auf ein Einverständnis gezogen werden. Vielmehr ist eine solche Aussage eine wichtige Strategie (für das Kind), um die Situation überhaupt zu ertragen. Betroffene Kinder versuchen damit, ihre eigene Machtlosigkeit und das verletzende Verhalten des Täters umzudeuten.

 

Wie wirkt sich sexualisierte Kindesmisshandlung aus?
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Viele Opfer sexueller Gewalt durchleben einen Stress, den Fachleute mit den Belastungen der Opfer von Geiselnahmen oder der Überlebenden von Konzentrationslagern vergleichen. Der traumatische Stress schlägt eine seelische Wunde, die oftmals über Jahre offen bleibt. Schlafstörungen, Albträume, Depressionen, Ängste, Panikattacken und aggressives Verhalten bis hin zu Selbstverletzungen, zermürbenden Erinnerungen, immer wiederkehrenden Suizidgedanken und Essstörungen – das ist die Liste der möglichen Langzeitfolgen, die der Trauma-Experte Andreas Krüger, Kinder- und Jugendpsychiater vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, nennt.
Zusammengefasst werden diese Symptome unter dem Begriff Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Viele der Betroffenen haben Schwierigkeiten, sich überhaupt auf Beziehungen einzulassen, sagt der Psychiater. Studien weisen zudem darauf hin, dass frühkindliche Traumatisierungen die Wahrscheinlichkeit erhöhen, sozial zu scheitern, nicht in der Lage zu sein zu arbeiten. Auch das Risiko von Alkohol- oder Drogensucht steigt beträchtlich. (Stern.de)
Lange nachdem die Gefahr vorüber ist, erleben Traumatisierte das Ereignis immer wieder so, als ob es gerade geschähe. Es ist, als wäre die Zeit im Moment des Traumas stehengeblieben. Selbst kleine, scheinbar bedeutungslose Gegenstände können Erinnerungen wecken, in denen das ursprüngliche Ereignis oft extrem lebensecht und mit aller emotionalen Gewalt wiederkehrt.
Nach einer traumatischen Erfahrung scheint sich das Selbstschutzsystem des Menschen in einem ständigen Alarmzustand zu befinden, als könnte die Gefahr jeden Augenblick wiederkehren. Das normale Grundniveau wacher, aber entspannter Aufmerksamkeit fehlt. Bei ihnen ist das Grundniveau ein Zustand erhöhter Erregung: Ihr Körper ist immer in Alarmbereitschaft und auf eine Gefahr vorbereitet.
Die erhöhte Erregung hält im Wach- wie im Schlafzustand an, die Folge sind massive Schlafstörungen. Patienten mit posttraumatischer Belastungsstörung brauchen länger zum Einschlafen, reagieren empfindlicher auf Lärm und wachen in der Nacht häufiger auf als Gesunde.
Auch die normale Regulierung emotionaler Zustände ist durch traumatische Erfahrungen gestört, die immer wieder Terror, Wut und Trauer auslösen. Diese Emotionen verschmelzen schließlich zu einem furchtbaren Gefühl, das Psychiater „Dysphorie“ nennen und Patienten kaum beschreiben können. Verwirrung, Unruhe, ein Gefühl der Leere und absoluten Einsamkeit kommen dabei zusammen.
Erwachsene wie Kinder müssen oft zwanghaft den Schreckensmoment in offener oder verschleierter Form wiederholen (beispielsweise durch Selbstverletzungen). Die meisten Wissenschaftler vermuten, dass das häufige Wiedererleben der traumatischen Erfahrung einen spontanen, erfolglosen Heilungsversuch darstellt. Andere betrachten den Wiederholungszwang als Versuch, die übermächtigen Gefühle, die das Opfer im traumatischen Augenblick empfand, wiederzubeleben und zu bewältigen.
Das Wiedererleben bietet vielleicht die Gelegenheit, das Trauma zu bewältigen, doch die meisten Opfer warten nicht bewusst darauf und sind auch nicht froh darüber. Vielmehr haben sie große Angst davor. Das Wiedererleben einer traumatischen Erfahrung überfällt den Traumatisierten mit der emotionalen Intensität des ursprünglichen Geschehens. Er wird ständig von Angst und Wut geschüttelt. Diese Gefühle sind jedoch qualitativ verschieden von normaler Angst und Wut; sie liegen außerhalb des gewöhnlichen emotionalen Erfahrungsspektrums und überfordern das gewöhnliche Vermögen, Gefühle auszuhalten.
Weil das Wiedererleben einer traumatischen Erfahrung so starke schmerzliche Gefühle weckt, vermeiden Traumatisierte solche Erfahrungen, soweit es in ihrer Macht steht. Das Opfer nimmt die Mühe, die es kostet, intrusive Symptome abzublocken, zwar zu seinem eigenen Schutz auf sich, verschlimmert damit jedoch das posttraumatische Syndrom, denn der Versuch, ein Wiederbeleben des Traumas zu vermeiden, führt sehr oft zu einer Einengung des Bewusstseins, einem Rückzug aus zwischenmenschlichen Beziehungen und zu emotionaler Verarmung.
Je stärker ehemalige Opfer mit den Anforderungen des Erwachsenenlebens konfrontiert sind, desto schwerer lastet das Erbe der Kindheitserfahrungen auf ihnen. Irgendwann, oft erst im dritten oder vierten Lebensjahrzehnt, brechen die Abwehrmechanismen allmählich zusammen. (Judith L. Herman, „Die Narben der Gewalt“ , 2003)

 

Wie wirkt sich sexualisierte Kindesmisshandlung aus – auf den Körper?
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Die subjektiv erlebte Bedrohung und der subjektiv erlebte Zusammenbruch des Grundsicherungsempfindens sind dafür verantwortlich, dass Erlebnisse wie sexualisierte Kindesmisshandlung (aber auch andere Formen erlebter Gewalt) traumatisierend wirken. Wenn eine Belastung auftritt, für die eine Person keine Möglichkeit einer Lösung durch ihr eigenes Handeln sieht, kommt es zu einer so genannten „unkontrollierbaren Stressreaktion“ (Huether 2001).
In Stresssituationen werden entsprechende Hormone – vor allem Cortisol – aus der Nebennierenrinde ausgeschüttet. Kurzzeitig und dosiert sind diese Stresshormone hilfreich, sie versetzen den Organismus in einen Alarmzustand, der etwa ein schnelles Davonlaufen ermöglicht. Länger andauernd wirken diese Hormone im Gehirn jedoch zytotoxisch: Im Hippocampus (zuständig für die zeitliche und räumliche Orientierung) werden die Nervenzellen beispielsweise in ihrer Verästelung reduziert und sterben dann ab.
Ebenfalls weiß man, dass die Amygdala (das so genannte Furchtzentrum im Kopf) nach traumatischen Erlebnissen sehr viel komplexer verschaltet wird. Traumatische Erlebnisse werden richtiggehend in der Gehirnarchitektur gespeichert. Da bildet sich eine Furchtstruktur aus, in die alle künftig erlebten Ängste und Erlebnisse eingepasst werden und die sich dadurch verstärkt. Das bedeutet, durch traumatischen Stress wird das Furchtzentrum überaktiviert, während gleichzeitig die ordnende Kraft des Hippocampus abnimmt. (Elbert 2005).
Spuren der Gewalt konnten bis in die Gene des Gehirns verfolgt werden. Forscher der amerikanischen Brown University in Providence, Rhode Island, nahmen sich so genannte Telomere vor. Dabei handelt es sich um biochemische Schutzkappen, die an den Enden der Chromosomen dafür sorgen, dass die DNA dieser Erbgutpakete in unseren Zellkernen nicht geschädigt wird. Die Länge dieser Endstücke scheint etwas damit zu tun zu haben, wie wirkungsvoll sie sind. Jedenfalls schrumpfen Telomere im Laufe des Lebens mit jeder Zellteilung. Doch nicht nur das Alter macht Telomeren zu schaffen, sondern auch Stress. Wie zum Beispiel in der Kindheit erfahrene Gewalt. Kinder leiden nicht nur, während sie misshandelt und missbraucht werden und vielleicht noch eine gewisse Zeit danach. Schlimmstenfalls kostet sie die Gewalt, die ihnen angetan wird, auch physisch ihre Gesundheit und am Ende Jahre ihres Lebens.
Forscher des Münchner Max-Planck-Instituts zeigten 2009 auf, wie Stress dauerhafte Veränderungen der Erbsubstanz hervorrufen kann. Sie wiesen nach, dass früh erlittene schwere Belastungen die Entwicklung krankmachender Prozesse einleiten kann, die sich später in Angsterkrankungen und Depressionen manifestieren (Spengler et al. 2009).
Amerikanische Kinderärzte und Psychologen zeigten ebenfalls 2009 auf, dass Stress in der frühen Kindheit dauerhaft das Immunsystem schwächen kann (PNAS 2009). Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e.V. veröffentlichte 2009 eine Studie, nach der Menschen, die in ihrer Kindheit körperlich misshandelt wurden, statistisch gesehen häufiger an Krebs erkranken. Eine Theorie geht davon aus, dass langanhaltender Stress in der Kindheit das Immunsystem dauerhaft schädigt, so dass es Krebszellen nicht mehr ausreichend vernichten kann.
Bei der Adverse Childhood Experiences (ACE)-Studie des Centers for Disease Control and Prevention and Kaiser Permanente in San Diego (Kalifornien), einer ausführlichen Verlaufsuntersuchung an über 18.000 erwachsenen Amerikanerinnen und Amerikanern, wurde der aktuelle Gesundheitszustand von Patienten zu belastenden Kindheitsfaktoren in Beziehung gesetzt, die im Mittel ein halbes Jahrhundert früher geschehen waren. Ein zentrales Ergebnis der Untersuchung war, dass belastende Kindheitserfahrungen (Missbrauchskategorien waren u.a. wiederholter körperlicher Missbrauch, wiederholter emotionaler Missbrauch und sexueller Missbrauch) auch fünfzig Jahre später tiefgreifende Folgen haben, wobei sich diese psychosozialen Erfahrungen mittlerweile in eine körperliche Erkrankung umgewandelt haben. (Felitti 2002)

 

Warum merkt niemand etwas?
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Dafür gibt es nach Ansicht der Rechtsmedizinerin Prof. Dr. med. Elisabeth Trube-Becker (Missbrauchte Kinder, 1992) viele Ursachen, die in unserer Gesellschaft, Macht und Gewalt gegenüber Schwächeren, Einstellungen zu Sexualität und den allgemein gültigen Ansichten über Familie als Hort des Glücks und der Harmonie liegen.
Ist das Opfer noch sehr klein, ist es noch nicht in der Lage, sich entsprechend verbal zu äußern. Die Signale, die sie aussenden, werden auch von den Menschen im nahen Umfeld der Kinder oft nicht verstanden. Ältere Kinder scheuen sich, Angaben zu machen, vor allem, wenn der Vater der Täter ist. Seine Autorität, seine Drohungen, seine Gebote zu schweigen, verhindern, dass das Kind sich Hilfe sucht.
Außenstehende wollen es aber häufig auch nichts merken, weil sie Sorge haben, sich dadurch selbst in Schwierigkeiten zu bringen: die Mutter muss befürchten, dass die Schandtaten des Täters auf die ganze Familie zurückfallen, oder sie den Ernährer der Familie verliert. Der Priesterkollege sorgt sich, damit wieder denjenigen Wasser auf ihre Mühlen zu geben, die sowieso schon ständig der Kirche – seiner Heimat – ihre Berechtigung absprechen. Ärzte zeigen sich erstaunlich ahnungslos und ungläubig, und erkennen vor allem dann, wenn keine körperlichen Spuren sichtbar sind, Verhaltensauffälligkeiten nicht als Signale. Viele fühlen sich hilflos und wissen nicht, wie sie sich bei einem Verdacht verhalten sollen.
Auch die öffentliche Wahrnehmung – die lediglich auf Uninformiertheit beruht – dass sexualisierte Kindesmisshandlung ein äußerst seltenes Delikt sei und dass die Täter überwiegend triebgestörte Fremde seien, verhindert, dass Signale und Merkwürdigkeiten ernstgenommen werden. Viele, so die Rechtsmedizinerin Elisabeth Trube-Becker, glauben auch heute noch, dass sexualisierte Kindesmisshandlung als höchst seltenes Delikt nur von abnormalen Eltern begangen werde.
Nicht zuletzt weiß man, dass die Täter über ausgeprägte manipulative Fähigkeiten verfügen. Das heißt, viele von ihnen haben öffentlich ein meist einnehmendes, scheinbar soziales und zugängliches Wesen. Niemand kann sich vorstellen, dass gerade sie…??? Aber das ist ja eben Zeichen ihrer manipulativen Fähigkeiten, dass sie offenbar früh gelernt haben, wie sie andere für sich einnehmen und in ihrem Sinne beeinflussen können, um letztlich IHRE EIGENEN Interessen durchzusetzen.
Die Hindernisse, die Mädchen und Jungen überwinden müssen, um andere auf die Geschehnisse aufmerksam zu machen – zum einen die Macht, die der Täter besitzt, zum anderen die Tendenz, Kindern nicht zu glauben – , verhindere oftmals wirksame Hilfe, so der englische Tätertherapeut Ray Wyre (Die Täter, 1991). Wenn es darauf ankomme, glaube man eher Menschen, die Macht besitzen. Kindern würde nicht nur mit Unglauben begegnet, sie würden vielleicht auch noch für ihre „Lügen“ bestraft und gerieten dadurch immer hoffnungsloser in einen Zustand der Hilflosigkeit und Isolation hinein.

 

Ist der Zölibat die Ursache für sexualisierte Kindesmisshandlung?
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Wenn diese Taten URSÄCHLICH mit dem Zölibat zusammenhängen würden, dann wäre es naheliegend, dass sie ausschließlich oder zumindest am weitaus häufigsten innerhalb der katholischen Kirche vorkommen. Das ist aber nicht der Fall: Die weitaus größte Zahl der Missbrauchsfälle ereignet sich innerhalb der Familien, bzw. im näheren familiären Umfeld des Kindes. Von diesen Tätern weiß man, dass sie zumeist regelmäßige Sexualkontakte auch mit erwachsenen Frauen haben, die Übergriffe auf Kinder also zusätzlich dazu stattfinden (so genannte Ersatzobjekttäter).
Sowenig der Zölibat die Täter ursächlich bedingt (jedenfalls gibt es keine Zahlen, die das belegen), so attraktiv ist er möglicherweise für junge Männer mit einer sexuellen Entwicklungsstörung bzw. Unreife. Sie hoffen, sich unter dem Dach der Kirche des lästigen Themas ihrer Entwicklungsstörung entledigen zu können. Im Austausch für den Vorsatz zur sexuellen Abstinenz erhalten sie dort sogar noch Zuspruch, Status und ein festes Einkommen. Doch häufig geht diese Rechnung nicht auf: Wer sexuell unreif bleibt, ist gefährdeter, zum Misshandler von Kindern zu werden.

 

Wer sind die Täter?
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Es ist weder der „triebgestörte Fremdtäter“ , noch der harmlose Opa, der nette kleine Mädchen „betatscht“. Laut einer Studie von Peter Wetzels, Professor am Institut für Kriminalwissenschaften der Universität Hamburg, sind neun von zehn Tätern Männer. Zwischen Tätern und Opfern liegt meist ein Altersunterschied von zehn bis zwanzig Jahren, d. h. der typische Täter ist eher um die Dreißig.
Die Täterpersönlichkeit beschreibt die Rechtsmedizinerin Prof. Dr. Elisabeth Trube Becker (Missbrauchte Kinder, 1992) so: „Entgegen landläufiger Ansicht handelt es sich beim Täter nicht um einen sexuell abartig veranlagten Menschen. Wenngleich es auch den Triebtäter gibt, so erfolgt sexueller Missbrauch von Kindern in der Regel durch unauffällige, psychisch nicht von der Norm abweichende Menschen, vor allem Männer, von Außenstehenden oft als fleißige und treusorgende Familienväter beurteilt, denen niemand den Missbrauch der eigenen Tochter zutrauen würde. Die Täter empfinden ihr Verhalten selbst als harmlos, jedenfalls nicht strafwürdig.“
„Täter ist im familiären Bereich der Vater, der Mann, dem das Kind das meiste Vertrauen entgegenbringt, der es schützen und behüten sollte. Es folgt der Freund der Kindesmutter, der Stiefvater, Großvater, der Bruder. Auch Frauen, sogar Mütter, können Täter bei sexuellem Missbrauch von Kindern sein. Der Anteil der Frauen soll bei etwa 10 von Hundert liegen.“ (Trube Becker)
Während Schläge und Vernachlässigung häufiger in sozial schwachen Familien geschehen, finden sexuelle Übergriffe auf Kinder in allen sozialen Schichten statt. Auch Ärzte, Unternehmer, Polizisten und Lehrer sind unter den Tätern, nicht selten gefüttert mit „Anregungen“ aus der (Kinder-) Pornoindustrie. Die meisten der Kinderschänder haben keine sexuelle Präferenz ausschließlich für Kinder: Der Anteil der Pädophilen wird auf 20 Prozent geschätzt. In rund 80 Prozent der Missbrauchsfälle stammen die Täter aus dem Familien- und Freundeskreis oder dem näheren sozialen Umfeld. (Anette Lache, STERN)
Der englische Tätertherapeut Ray Wyre (Die Täter, 1991) unterscheidet den fixierten Kindesmissbraucher und den regressiven Kindesmissbraucher. Außerdem beschreibt er einen inadäquaten Kindesmissbraucher und einen inadäquaten fixierten Kindesmissbraucher.
Der fixierte Kindesmissbraucher zeichnet sich durch seine primäre sexuelle Orientierung auf Kinder aus. Er ist durch Erwachsene sexuell nicht oder kaum erregbar. Es handelt sich um den klassischen so genannten „Pädophilen“. Etwa zwei bis zehn Prozent aller Täter zählt er zu diesem „fixierten Typ“. Der amerikanische Soziologe Weinberg ordnet dem „pädophilen“ Typ unsichere, psychosexuell unreife Männer zu, die sich im Umgang mit erwachsenen Frauen unwohl fühlten und deshalb minderjährige Mädchen sexuell bevorzugten.
Der regressive Kindesmissbraucher kann eine stabile Beziehung zu einer Frau haben oder sich von Frauen sexuell angezogen fühlen, ist aber vielleicht unsicher in seiner Sexualität und benimmt sich in Beziehungen mit Frauen eher unreif. Wenn er ein Kind missbraucht, so Wyre, dann geschehe das vermutlich aus einem Impuls heraus – nach einem Streit oder in einer Problemsituation. Er mache das Kind zu einem Pseudo-Erwachsenen oder regrediert selbst und sucht bei dem Kind Trost und Verständnis. Man spricht deshalb auch von einem Ersatzobjekttäter. Nach vorsichtigen Schätzungen sind die regressiven Täter mit etwa 90 Prozent am häufigsten anzutreffen.
Der inadäquate Kindesmissbraucher sei möglicherweise geistig behindert, senil oder geistesgestört, und es fehle ihm an seelischer und geistiger Reife. Er habe Probleme mit der Sexualität, vielleicht gelte er als sozialer Versager. Er sei unsicher und tue sich schwer, Beziehungen aufzubauen.
Der inadäquate fixierte Kindesmissbraucher besitze nicht die sozialen Fähigkeiten, um Beziehungen zu Kindern herzustellen. Er missbraucht Kinder, die er nie vorher gesehen hat. Vielleicht bietet er ihnen als Gegenleistung kleine Geldsummen an, vielleicht belästigt er Kinder durch exhibitionistische Handlungen, durch obszöne Telefonate oder er ist als so genannter „Sex-Tourist“ misshandelnd.

 

Täterschutz – Täterausreden
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Richter und auch Täter selbst scheinen dazu zu tendieren, schreibt der englische Tätertherapeut Ray Wyre (Die Täter, 1991), die Straftaten als Überreaktion auf berufliche Anspannung oder Konflikte in der Familie und/oder Beziehung anzusehen und zu entschuldigen. Noch immer werde sexualisierte Kindesmisshandlung, die innerhalb der Familie stattfindet, auf mildernde Umstände erkannt, die auf traditionellen Mythen basieren. Diese Mythen erzählten beispielsweise von Promiskuität und verführerischen Reizen des Kindes, und das Alter des Kindes gelte als ausschlaggebend für eine Verurteilung.
In der Gesellschaft entstehe durch die herkömmliche Definition des Vergewaltigers als völlig anderen, fremden Triebtäter ein Frei- und Schutzraum für Männer, die – über jeden Verdacht erhaben – Mädchen gefahrlos jahrelang sexuell ausnutzen können, so Barbara Kavemann und Ingrid Lohstöter („Väter als Täter“, 1984). „Mit dem Hinweis, man habe es hier ausnahmsweise mit einem ganz untypischen Fall zu tun, nämlich mit einem fleißigen, wertvollen Mitglied der Gesellschaft, sind sich Gutachter, Richter, Staats- und Rechtsanwälte einig: Vor ihnen steht kein Krimineller. Der Mann ist in Ordnung, ihm ist nur ein kleiner Fehler unterlaufen. Was ihm gebührt, ist keine Strafe, sondern allenfalls Beratung, höchstens Therapie.“
Kindesmisshandler erklären und entschuldigen ihre Taten sich selbst und anderen gegenüber mit einer Vielzahl von Gründen: um ungebührliches Verhalten zu bestrafen; weil sie von dem Kind lächerlich gemacht worden seien; andere behaupten, das Kind habe sie verführt.
Viele schieben die Schuld auch auf die sexuelle Unzulänglichkeit ihrer Frau (ein Argument, so Wyre, das vor Gericht durchaus zählen kann), oder sagen, sie hätte sie wütend gemacht.
Viele Täter würden einfach sagen, Sex sei etwas, das die Kinder ebenso genießen wie sie selbst, so der Tätertherapeut Ray Wyre weiter. Sie behaupteten, sie kümmerten sich um Kinder, die sonst vernachlässigt würden.
Die Täter selbst, so die Rechtsmedizinerin Elisabeth Trube Becker (Missbrauchte Kinder, 1992) empfinden ihr Verhalten als harmlos, jedenfalls nicht strafwürdig.
Kindesmisshandler werden auch durch die Art der Sprachführung ent-schuld-igt, zeigt die Psychologin Monika Gerstendörfer (Der verlorene Kampf um die Wörter, 2007) auf: da wird vom „Vergreifen“ gesprochen, wenn sexualisierte Gewalt gemeint ist, oder es wird die „Frühreife“ des Opfers bemüht, um die Taten zu entkriminalisieren.

 

Täterverhalten – Täterstrategien
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Sexualisierte Kindesmisshandlung geschieht nicht plötzlich an einem Dienstagnachmittag um halb vier und bleibt auch zumeist kein einmaliges Ereignis. Es sind lange vorbereitete und angebahnte Taten und sie finden in der Regel über einen längeren Zeitraum, meist Jahre, statt. Kindesmisshandler sind Wiederholungstäter.
Die Täter nehmen sich zunächst Zeit, die Lage zu sondieren und einzurichten, die Opfer schleichend einzukreisen, sie mit Freundlichkeit und Geschenken, oder aber mit Einschüchterung und Drohungen zugänglich zu machen.
Durch Einschüchterungen der misshandelten Kinder wird versucht, sie zum Stillschweigen zu bringen. Üblich ist beispielsweise Liebesentzug oder die Drohung, dass geliebte Menschen verletzt werden, oder aber den Opfern wird eingeredet, dass sie den Vorfall durch eigenes Fehlverhalten hervorgerufen hätten.
Später testen sie erste scheinbar „zufällige“ Berührungen aus; mit ihrem manipulativen Wesen und ihrer bisher aufgebauten „Freundschaft“ (oder Übermacht) zum Opfer gelingt es ihnen immer wieder, die Abwehr und die Verwirrung des Opfers zurückzudrängen, bis sie irgendwann massiver, direkter und gewalttätiger ihre wahren Interessen durchsetzen.
Kindesmissbraucher, so der englische Tätertherapeut Ray Wyre, sind sehr geschickt darin, Zugang zu Kindern zu finden. Ihr größeres Problem sei es, ein Kind verfügbar zu halten und nicht entdeckt zu werden. Um das zu erreichen, arbeiten sie mit Gewalt oder Drohungen. Doch nicht alle wählen diese Mittel. Normalerweise erweckt der Täter im Kind Schuldgefühle, indem sie beispielsweise sagen „Du wolltest das ja“ oder „Du hast mich dazu gebracht“. Oder er vermittelt dem Kind, es erlebe etwas ganz „Besonderes“ oder etwas, das zum Erwachsenwerden dazugehöre.
„Die ersten Verteidigungstaktiken des Täters sind Geheimhaltung und Schweigen. Wenn Geheimhaltung nicht mehr möglich ist, greift der Täter die Glaubwürdigkeit des Opfers an. Wenn er das Opfer nicht ganz und gar zum Schweigen bringen kann, sorgt er soweit wie möglich dafür, dass dem Opfer niemand zuhört. Täter nutzen immer dieselben Ausreden: Es ist nie geschehen; das Opfer lügt; das Opfer übertreibt; das Opfer ist selbst schuld; und es ist ohnehin an der Zeit, dass man die Vergangenheit ruhen lässt und in die Zukunft blickt. Je mächtiger der Täter ist, desto umfassender ist sein Vorrecht, Realität zu benennen und zu definieren, und desto vollständiger kann er seine Argumente durchsetzen“ , beschreibt Judith L. Herman (Die Narben der Gewalt, Junfermann 2003) typisches Täterverhalten.
Männer sehen Gewalt als legitimes Mittel zur Bedürfnisbefriedigung an, so Barbara Kavemann und Ingrid Lohstöter („Väter als Täter“, 1984). Im männlichen Denken sei Gewalt oft untrennbar mit Sexualität verbunden. „Die Macht, die ein Vater in unserer Gesellschaft hat, wird eingesetzt, um Töchter auf lebloses Eigentum zu reduzieren. Die Fixierung auf die eigenen Wünsche erzeugt ein eindimensionales Bild zwischenmenschlicher Beziehungen. Differenzierungen zwischen Zuwendung, Zärtlichkeit und Sexualität werden überflüssig.“

 

Sind die Täter „pädophil“?
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„Pädophil“ ist eine Selbstbezeichnung der Täter, die von Opfern sexualisierter Kindesmisshandlung abgelehnt wird. Das, was kindliche Opfer erleben müssen und mussten, hat mit „Kinderliebe“ (Pädophilie) nichts zu tun. Auch diese Tätergruppe begeht strafbare sexualisierte Kindesmisshandlungen.
Etwa geschätzte zwei bis zehn Prozent aller Täter können einem sexuell ausschließlich auf Kinder fixierten Tätertyp zugeordnet werden. Rund 90 Prozent aller Täter sind nicht ausschließlich auf Kinder fixiert, sondern ihre primäre sexuelle Orientierung ist auf Erwachsene gerichtet, sie sind jedoch ebenfalls durch Kinder sexuell erregbar.
In seinem Buch „Gebrochene Rosen“ charakterisiert der Amerikaner Ron O’Grady den „typischen Pädophilen“ so: „Er ist ein Akademiker oder freiberuflich arbeitender Mann mittleren Alters. Möglicherweise ist er Arzt (häufig Kinderarzt), Lehrer, Sozialpädagoge oder Geistlicher. Meistens hat er beruflich mit Kindern zu tun oder ist in seiner Freizeit in der Kinderarbeit engagiert. Er ist wahrscheinlich verheiratet oder war es und hat Kinder.“
Der amerikanische Soziologe Weinberg ordnet dem „pädophilen“ Typ unsichere, psychosexuell unreife Männer zu, die sich im Umgang mit erwachsenen Frauen unwohl fühlten und deshalb minderjährige Mädchen sexuell bevorzugten.
Da sowohl Inzest als auch „Pädophilie“ sexuelle Kontakte mit Kindern beinhalten, so Josephine Rijnaarts („Lots Töchter“, 1988), liege es nahe, beide Erscheinungen miteinander in Verbindung zu bringen. Das könne zu der Annahme führen, Inzest sei so etwas wie „Pädophilie“ in der Familie. Doch es bestünden zwischen beiden wesentliche Unterschiede: Zum Einen, dass die „Pädophilen“ selbst eher die Öffentlichkeit suchten und „Pädophilie“ zum Diskussionsgegenstand machten, während beim Inzest die Täter alles tun, um die Taten zu verheimlichen oder später zu verleugnen. „Pädophile wollen das Interesse der Öffentlichkeit, inzestuöse Väter nicht“ , so Rijnaarts.
Doch wie bei allen anderen Tätern sexualisierter Kindesmisshandlung, geht es auch den „Kinderliebenden“ letztlich nur um die Befriedigung ihrer eigenen sexuellen (und nichtsexuellen) Interessen. Deshalb ist klar: Auch das, was so genannte „Kinderfreunde“ mit Kindern anstellen, ist sexualisierte Kindesmisshandlung – und damit strafbar. Das bedeutet aber nicht, dass JEDE sexualisierte Kindesmisshandlung von einem so genannten „Pädophilen“ durchgeführt wird, bzw. dass für jede sexualisierte Kindesmisshandlung die so genannte „Pädophilie“ die Ursache ist.

 
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