Die Borderline-Diagnose

© Thomas Gruner, Februar 2005

Quelle: http://www.alice-miller.com/artikel_de.php?lang=de&nid=75&grp=13

Die Borderline-Diagnose

Viele Menschen, die in der Kindheit sexuell ausgebeutet wurden, plagen sich mit einer Fülle von Symptomen, die in alle Bereiche des Lebens eingreifen: Ihre Gefühle sind entweder wie abgestorben oder aber es tauchen unvermittelt heftige Emotionen auf, die dem Betreffenden selbst völlig unverständlich sind. Je grausamer ein Kind misshandelt wurde, umso stärker ausgeprägte autistische Züge zeigt mitunter der Erwachsene. Die starken, nicht integrierten Gefühle können so quälend werden, dass ein Mensch in die Sucht flüchtet, um sie nicht spüren zu müssen und um immer wieder auftauchenden Selbstmordwünschen zu entgehen, aber auch der Leere, die die Eltern in ihm hinterließen.

Das ganze Leben entgleist, eine berufliche Entwicklung kann verunmöglicht werden, weil die gesamte Kraft allein für das Aushalten und Überleben des Unerträglichen aufgezehrt wird. Von einer Partnerschaft wagen viele nicht einmal zu träumen, sie können sich logischerweise nicht vertrauensvoll öffnen und die sexuelle Entwicklung wurde oftmals zerrüttet. Diese umfassende Not verschärft den Selbsthass, dessen Wurzeln in der Kindheit durch die verheerenden direkten und indirekten Botschaften der Eltern gelegt wurden. Leben kann man das wohl nicht nennen und auf diese Weise mag sich das Überleben mitunter eher wie der Aufenthalt in einem Straflager anfühlen.

Diese Menschen brauchen natürlich Hilfe, und wenn sie zu einem Therapeuten gehen und ihre Verfassung schildern, wird ihnen immer häufiger mitgeteilt, was mit ihnen los ist. Sie hätten eben, heißt es dann, eine Borderline-Persönlichkeitsstörung. Vermutlich handelt es sich bei dieser seit etlichen Jahren so beliebten Diagnose um einen Versuch der psychotherapeutischen Forschung und Praxis, die Fülle der Symptome irgendwie unter einen Hut zu bekommen, etwas benennen und somit fassbarer machen zu können, das sonst unerklärlich, vielleicht auch unheimlich oder abstoßend bliebe. Entscheidend in diesem Zusammenhang ist eigentlich gar nicht der Begriff, das Etikett, sondern die Tatsache, dass die sogenannten „Borderliner“ (wie man sie gerne nennt) als äußerst schwer, sogar als überhaupt nicht behandelbar gelten. Sie sind die schwierigen, manchmal unheilbaren Fälle und ihnen wird in der Regel nicht zugetraut, sich an ihre Kindheit erinnern zu können.

Vielleicht sähe dies ganz anders aus, wenn man sich die Mühe machte, die Symptome nicht als charakterliche Verfehlung, sondern als inzwischen destruktiv gewordene Überlebenstechniken aus der Kindheit, vor allem aber als stumme Sprache des Klienten zu identifizieren, die entschlüsselt, also verstanden werden muss, damit sie überflüssig werden kann. Die Symptome erzählen indirekt ja auch, wie es dem Kind mit den Eltern ergangen ist. Sie bringen zum Ausdruck, was eine Klientin nicht unmittelbar, bewusst sagen kann und sind sehr oft verknüpft mit der frühesten Lebenszeit eines Menschen, die der bewussten oder bildhaften Erinnerung nicht oder im letzten Fall nur in Träumen zugänglich ist. Das macht den Umgang mit den Symptomen in erster Linie zu einer Geduldsprobe für die Betroffenen.

Ich glaube kaum, dass es Klienten gelingt, die Botschaften ihrer Symptome zu verstehen und sich damit ihrer Realität als Kind anzunähern, wenn ihnen von Anfang an vermittelt wird, wie schwierig, problematisch, im Grunde unerträglich sie für den Therapeuten sind. Deutlich wird dies in einem Buch des Sozialpädagogen Heinz-Peter Röhr, das oberflächlich betrachtet zwar sehr einfühlsam auf die Fülle der Probleme Traumatisierter eingehen will, zwischen den Zeilen aber kaum mehr vermittelt als das pure Ressentiment gegenüber Menschen, die in ihrer Kindheit tatsächlich massiven Angriffen auf ihre Persönlichkeit ausgesetzt waren („Weg aus dem Chaos“, 2000).

Da nimmt es nicht wunder, wenn sie sich nun gegen jeden Versuch der Erziehung zur Wehr setzen, wenigstens dann, wenn sie mit Botschaften und Forderungen konfrontiert werden, die sie seit ihrer Kindheit im Schlaf singen können. Der Autor beschreibt, wie die anstrengenden Patienten zur Pünktlichkeit angehalten werden müssen, sich in die Gemeinschaft einer Klinik nicht einfügen wollen, Therapiegruppen aufmischen und andere Gruppenteilnehmer mit ihrer Widerborstigkeit anstecken. In jedem Fall habe sich der Therapeut massiv den Eigentümlichkeiten der Patienten entgegen zu stemmen. Ich bezweifele gar nicht, dass manche Menschen nicht empfänglich sind für psychotherapeutische Bemühungen, doch bekommt man den Eindruck, ein Vater klage über seine ungeratenen Kinder: Was habe ich nicht alles für dich getan, und das ist nun der Dank.

Tatsächlich will es etlichen Therapeuten nicht recht gelingen, die Pädagogik aus ihren Maßnahmen auszuschließen. Entsprechend dürftig sind die Ergebnisse. So erwähnt etwa Röhr einen Patienten, der nach langer Behandlung ein gutes Verhältnis zu Gott habe aufbauen können. Dann scheint ja alles in Ordnung zu sein?

Ich bin überzeugt davon, dass Klienten ihre Symptome nicht dadurch loswerden, indem man ihnen diese in der Therapie regelrecht untersagt, nach dem Motto: Du darfst keine Drogen konsumieren, das schickt sich nicht vor Gott und den Menschen; du darfst deine sexuellen Störungen nicht ausagieren; du darfst keine unverständlichen und bedrohlichen Gefühle haben, weil das alles eine Krankheit beweist, die du nicht haben sollst, und deshalb musst du dich in bestimmter Weise verhalten. Du darfst auch keinen Hass empfinden aufgrund der Zumutungen der Gesellschaft und der Übergriffe deiner Eltern, weil sich dieses Gefühl auch nicht gehört.

Diese Haltung wird schon seit Jahren den Umgang der meisten Klienten mit sich selbst geprägt haben. Der pädagogische Impetus ist bei Röhr besonders deutlich, kommt aber auch dann zum Vorschein (so u.a. bei Reddemann), wenn es um den Umgang mit der Übertragung geht. Der Therapeut bestimmt oftmals, welche Reaktion des Klienten eine Übertragung sei, die sich in der Traumatherapie nicht entfalten soll. Ich glaube auch, dass die Arbeit mit der Übertragung allein kaum ausreicht, um schweren Verletzungen in der Kindheit die Macht zu nehmen, doch werden wenigstens in der Theorie einige Fragen nicht beantwortet: Was ist, wenn die Reaktion eines Patienten keine Übertragung ist, sondern ein ganz berechtigter Unmut über einen Misstand in der Therapie, oder wenn sich berechtigte Kritik und Übertragungsgefühle mischen?

Leider lässt sich die Übertragung ja nicht vermeiden, weil die Gefühle, die eigentlich den Eltern gelten, oftmals einen Umweg einschlagen, indem sie sich zunächst an andere Personen heften. Innerseelisch ist das ein eher normaler Vorgang, der natürlich das Alltagsleben vergiften kann und gerade deshalb Raum in einer Therapie braucht.

Der Göttinger Professor Ulrich Sachsse, dessen Vorträge unter anderem im Internet zu lesen sind, zeigt in seinem Buch „Selbstverletztendes Verhalten“ (zuletzt 2002), dass er zuweilen geradezu mit Brachialgewalt gegen die Symptome seiner Patientinnen vorgeht. Diese müssen – koste es, was es wolle – verschwinden und so werden Medikamente ohne Ende verabreicht, in dem Irrglauben, Gefühle und Symptome seien nicht mehr da, wenn man sie aufgrund der Manipulation mit chemischen Substanzen nicht mehr wahrnehmen oder nicht mehr fühlen könne. Ein Versuch, die Symptome als stumme Sprache des Kindes, das ein Mensch einst war, zu verstehen, findet nicht statt. Und so liegt die Schlussfolgerung immerhin nahe, dass es gerade diese stumme Sprache ist, die eliminiert werden soll.

Ich behaupte dabei nicht, diese Maßnahmen würden ergriffen, um die Patienten zu schikanieren oder ihnen zu schaden. Ich persönlich habe Psychopharmaka nie eingenommen und weiß nur von anderen, dass sie sich entweder fast euphorisch oder wie abgestellt fühlten, ihre Symptome zeitnah nach dem Absetzen der Medikamente vollständig wieder auftauchten. Im engeren Umfeld erlebte ich ein Mal, dass schwere dämpfende Mittel, die ausdrücklich verabreicht wurden, um einen Suizid auszuschließen, diesen nicht verhindern konnten. Es mag sein, dass die Mehrheit der Therapeuten bewusst helfen will und sich mit gutem Gewissen um entsprechende Methoden bemüht. Problematisch wird es, wenn die professionellen Helfer die Maßnahmen und Botschaften ihrer eigenen Erziehung nicht durchschaut und in Frage gestellt haben. Sie kennen sie einfach nicht. Dann müssen sie diese zwangsläufig bei ihren Klienten wiederholen. In diesem Zusammenhang werden dann Diagnosen und Deutungen oftmals wie eine Waffe verwendet, Therapie wird zum Versuch, Anpassung und Konformität zu erzwingen: Du sollst so sein, wie ich dich haben will, wie alle anderen sind, wie ich denke, dass es richtig ist.

Wenn innerhalb einer therapeutischen Beziehung das ehemalige Kind zu Wort kommen kann, wenn Klient und Therapeut gleichberechtigt und gemeinsam herauszufinden versuchen, welche in der Kindheit aus Notwehr erworbenen Verhaltensmuster heute selbstschädigend sind, ob überhaupt und welche Alternativen es gäbe, wenn die Bedürfnisse und der eigene Wille des Klienten gestärkt werden, wenn ein Mensch von innen heraus das Kind, das er war, emotional verstehen, für sich selbst Partei ergreifen kann, wenn die Rebellion, das Aufbegehren in der Therapie erwünscht sind, brauchte man womöglich Diagnosen, Deutungen und Theorien kaum noch oder allenfalls am Rande. Die Theorie scheint immer noch ein Bollwerk zu sein, es fragt sich nur wogegen. Deutlich wird dies auch an der oft entfremdeten wissenschaftlichen Sprache, mit der das Schicksal von in der Kindheit misshandelten Menschen schwerlich beschrieben oder erfasst werden kann.

1999 veröffentlichte eine Frau unter Pseudonym einen Bericht über ihre seelische Erkrankung: „Ich heiße Berit und habe eine Borderline-Störung“. Berit Anders bringt dem Leser ihre innere Not und die Gefährdung, in der sie sich befindet, sehr nahe. Über ihre Kindheit, die offenbar grauenhaft war und von Vergewaltigungen, eventuell auch einem Mordversuch durch den Vater geprägt, schreibt sie nur in Andeutungen. Sehr lange sucht sie vergeblich nach therapeutischer Hilfe, bis sie zuletzt in einer psychosomatischen Klinik einem Therapeuten begegnet, der ihr endlich gestattet, starke Gefühle zum Ausdruck zu bringen, und sie nicht maßregelt. Dafür ist Berit ihm dankbar. Der Therapeut erklärt ihr dann, dass sie an einer Borderline-Störung leide, ihr Überleben sei im metaphysischen Sinne reine Gnade und sie möge aufhören, um ein besseres Leben zu kämpfen, das sie nicht erreichen könne, denn ihre Störung sei nicht heilbar. Sie müsse (vermutlich zu Ungunsten ihrer Lebenswünsche und Bedürfnisse) kapitulieren. Berit Anders befolgt diesen Rat, schreibt auch nach dem Verlassen der Klinik viele Briefe an den Therapeuten, stellt sich tapfer ihrer Medikamentenabhängigkeit entgegen, renoviert ihre kleine Wohnung, findet einen Job weit unter ihren Fähigkeiten, der sie über Wasser hält, ist weiterhin einsam, gleicht die Einsamkeit aber durch regelmäßige Besuche von Selbsthilfegruppen für „Borderliner“ etwas aus. Sie macht genau das, was sich der Therapeut für sie vorgestellt hatte, eine gewisse Stabilisierung ist auch eingetreten.

Manche Schicksale erlauben vielleicht nicht mehr sehr viele Veränderungen. Allerdings hat die in meinen Augen verfrühte und bedenkliche Botschaft des Therapeuten, Berit Anders möge aufgeben, um ein besseres Leben zu ringen (im Klartext, sich den Botschaften der Eltern zu widersetzen) Wirkung gezeitigt. Der Kampf setzt sich fort, nunmehr gegen die hartnäckig weiterhin auftauchenden Symptome, die mittlerweile über den Körper ausgedrückt werden. Berit Anders hat starke, manchmal unerträgliche chronische Schmerzen in der Kehle, und ist ständig von Rückfällen in die Psychopharmakasucht bedroht. Offensichtlich beabsichtigt der Körper ganz und gar nicht, zu kapitulieren. Gegen Ende des Berichts könnte erklärlich werden, was die Schmerzen zum Ausdruck bringen. Fast beiläufig erwähnt die Autorin, dass sie ein einziges und erklärtermaßen auch zum letzten Mal in ihrem Leben anlässlich eines Gruppenabends aussprach, von ihrem Vater vergewaltigt worden zu sein. Eine Frau hatte das Thema artikuliert und Berit Anders konnte ihr folgen. Aber reicht es, ein Mal über ein Verbrechen zu sprechen, das einem Kind angetan wurde und das ganze Leben ruinierte? Warum ist es nicht möglich gewesen, die Vergangenheit in den Therapien ausführlich zu erzählen? Warum musste stattdessen eine Hoffnungslosigkeit zementiert werden, die den Körper angreift? Wie mag es der Autorin heute, einige Jahre nach der Niederschrift ihres Berichts wohl ergehen?

Möglicherweise ist die Borderline-Diagnose doch mehr eine Trutzburg für die Therapeuten, die Angst haben vor dem ungebärdigen, wilden, aber auch verzweifelten und höllische Qualen leidenden Kind in ihren Patienten. Arno Gruen hat bereits in den achtziger Jahren anhand seiner Untersuchungen über den Plötzlichen Kindstod gezeigt, dass Hoffnungslosigkeit töten kann („Der frühe Abschied“, 1988 u. 1993). Die Seele bringt sie ganz sicher um.

18 Gedanken zu „Die Borderline-Diagnose“

  1. Vielen lieben Dank für diesen Beitrag (und die Kommentare darunter). Vielleicht ist es etwas spät, um darauf zu reagieren, aber ich wollte einfach meinen Senf dazu geben, da ich mich enorm verstanden fühle.

    Mir hat man die Diagnose Borderline im Juni um die Ohren geschlagen, im wahrsten Sinne des Wortes.
    Es ging mir nicht gut und ich musste eine Prüfung wegen einer Panikattacke abbrechen, brauchte daher ein Attest. Ich bin depressiv und habe Prüfungsangst. So, bis dahin alles nicht so schlimm.

    Aber jetzt sollte mir geholfen werden, Achtung:
    Die Hausärztin fragte plötzlich grinsend, ob ich Narben hätte (habe ich, aber sie sind sehr alt) und meinte daraufhin, sie würde nun Borderline aufschreiben – nach geschätzten 3 Minuten „Untersuchung“.
    Größtes Entsetzen meinerseits, denn ich weiß, wie man mit Borderlinern umgeht, man unterstellt ihnen die merkwürdigsten Dinge, eben alles, was im Katalog steht, ein vermeintlicher Ruf eilt ihnen voraus und jeder meint, sie hart anfassen zu müssen – oh, vielleicht sollte ich besser „dürfen“ schreiben.
    Ich verbot ihr also, diese verheerende Diagnose aufzuschreiben und tat meinen Unmut bezüglich Stigmatisierungen kund. „Das bildest du dir nur ein, Borderline ist überhaupt nicht stigmatisierend, in deinem Kopf ist doch alles verdreht“, wurde mir daraufhin verärgert entgegengezischt, während sie mir den Vogel zeigte (ich dachte, ich sehe nicht recht) und weiterschimpfte, warum so etwas wie ich überhaupt frei herum läuft, ich gehöre doch in eine Psychiatrie, was nur meine Eltern zu einem solchen Kind sagen würden, nein, meine Eltern beneidete sie wahrlich nicht. Und überhaupt, ich würde nur immer auftauchen, wenn ich etwas wollen würde, tyyypisch Borderliner (mir war bis dato nicht bewusst, dass Hausärzte auf Anstandsbesuche stehen) und sie hätte mir nun schon 5 Atteste geschrieben (eigentlich wars eines) und hätte absolut keine Lust, mir ein weiteres zu geben.
    Wow.

    Hammer. Ich konnte nichts mehr sagen.
    Ich hatte das Gefühl, da projizierte jemand seine eigenen Probleme, sein eigenes Unvermögen plus richtig miese Laune auf ein geeignetes Opfer. Da hat aber jemand Glück gehabt, dass er auf der richtigen Seite des Schreibtisches saß. Das zum Thema „Wegsperren“.

    Leider kann es sein, dass ich ein rückwirkendes Attest von ihr benötige, wenn ich daran denke, wird mir ganz anders, ich habe wirklich Angst vor ihr, bzw. ihren Ausrastern.
    Es ist ein bisschen wie in diesen berühmten Psychiatrie-Szenen: „Hey, das ist in Irrtum, ich bin nicht verrückt!“, „Jaja…das sagen sie alle und jetzt Zwangsjacke“. So etwas kann einem ab und an noch sehr viel mehr den Boden unter den Füßen entreißen als die eigentliche Problematik.
    Das ist absolut schrecklich.

    Von dem her…ich bin so dermaßen dankbar, eure Worte lesen zu dürfen.

    Viele Liebe Grüße!

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    • Hallo,

      schlimm, dass du diese Erfahrungen machen musstest. Für mich gäbe es nur die Konsequenz, diese Ärztin nie mehr aufzusuchen und mir Hilfe bei einer kompetenten Therapeutin zu suchen. Als Hausärztin kennt diese „Dame“ wohl nur die Borderline-Diagnose, die ja in aller Munde ist… Melde dich bitte, wenn du bei der Suche nach einer Therapeutin oder sonstwie Hilfe brauchst!

      Liebe Grüße,
      Birgit

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      • Hey, 🙂

        du hast recht, das ist wirklich die einzig vertretbare Konsequenz und Gott sei Dank habe ich tatsächlich einen anderen Arzt gefunden, der wirklich weiß, was er macht und bei dem ich mich sogar pudelwohl fühle. Das ist so wichtig…wie oft schleppt man sich ewig zu jemandem, der einem nicht wirklich helfen kann und eher schaden anrichtet? Letztendlich kann man dadurch nur verlieren – und es geht wirklich anders, Hilfe bekommen und annehmen kann durchaus eine sehr schöne Erfahrung sein, das vergisst man unter gewissen Umständen sehr schnell.

        Och, das ist lieb von dir, über dieses Angebot habe ich mich gerade wirklich sehr gefreut, ich melde mich dann gerne. 🙂

        Viele liebe Grüße

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  2. Ein Bekannter hat mir letzte Woche wieder von einem schlimmen Vorfall erzählt, als ich mit ihm über meine Psychiatrie-Erfahrungen sprach. Da dies ganz gut hier reinpasst, gebe ich es hier wieder…

    … eine Freundin von ihm wurde als Kind mehrmals vergewaltigt und bekam daraufhin später die unterschiedlichsten psychischen Probleme und auch Bulimie. Sie ging daraufhin zu einer Therapeutin, die ihr aufgrund der Vielschichtigkeit der Symptome „Borderline“ diagnostizierte und die von ihr gestellten Diagnose wiederrum zum Anlass nahm zu behaupten, dass die Patientin nur Aufmerksamkeit wolle und sich die Vergewaltigung nur eingebildet habe.

    Ich finde solche Unterstellungen von Therapeuten (ohne nähere „Beweise“) einfach überheblich und dazu stark schädigend. Ich habe immer mehr den Eindruck, dass vielen Therapeuten und Psychiatern garnicht bewusst ist, was sie mit solchen Aussagen eigentlich alles anrichten können!

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    • Danke für dieses – nicht so seltene – Beispiel, wie so genannte „Fachleute“ Betroffene massiv schädigen können – einfach dadurch, dass sie keine Ahnung haben (sprich: nicht in Psychotraumatologie aus- bzw. fortgebildet sind) bzw. das Trauma verleugnen (müssen)! So viele von uns sind durch diese Wahrheitsverdrehungen der so genannten „Expertinnen“ und „Experten“ schon zusätzlich geschädigt worden! Und mich persönlich erinnert diese „Argumentation“, dass man „nur Aufmerksamkeit wolle“ und „sich alles nur einbilde“ fatal an die schon damals die Taten verleugnenden Mittäter(innen). Leider müssen bis heute viele der so genannten „Fachleute“ zu diesen – verleugnenden, wahrheitsverdrehenden und damit das Trauma zusätzlich verstärkenden – Mittäter/innen gezählt werden. Das will niemand hören, aber genau so ist es!

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  3. „Papierkorb – Diagnose“

    Den Begriff nehme ich in meinem Wortschatz mit auf! Danke dafür! Den kann man sicher sehr häufig anwenden, traurig aber wahr! Nicht nur in der Psycho – Branche, sondern auch in der med. „Fachwelt“.

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  4. Ich habe noch was zum Thema „Borderline“:

    „Die meisten Forscher gehen davon aus, dass etwa 90 % aller Borderliner in ihrer Kindheit oder Jugend extreme seelische Belastungen bzw. Traumata erfahren haben (…) (vergl. z.B. Herman, 1994; Kreisman & Straus, 1992; Rhode-Dachser, 2000).“

    „Die Borderline-Diagnose wird seit etwa einem Jahrzehnt geradezu inflationär gestellt, d.h. für viele Untersucher und Behandler reichen oft einige wenige Symptome aus, um eine Borderline-Störung zu diagnostizieren (Selbstverletzungen, Bulimie, Depressionen, Feindseligkeit, Aggressivität oder Drogenmissbrauch). Im Verlauf der schwierigen und wechselvollen Forschungsgeschichte des Borderline-Syndroms sprach man zeitweilig sogar von einer „Papierkorb-Diagnose“ (Kreisman & Straus, 1992, S. 245: „Dort konnte man jene Patienten ,abladen‘, die man nicht verstand, die sich der Therapie widersetzten oder deren Zustand sich einfach nicht besserte.“).“

    (Quelle: Andrea Brackmann, „Jenseits der Norm“, 2005)

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    • Sowie ich gelesen habe liegt auch die Schwierigkeit in den Diagnosekriterien. So ist der ICD-10 in der Stellung der Borderlinediagnose viel weiter, als der DSM-IV der diesen Begriff enger fasst. Noch extremer wird es in der Differenz zwischen dem jetzt noch gültigen ICD-10 und dem neuen DSM-5 der sehr eng gefasst ist.
      Persönlichkeitsstörungen sind allgemein sehr umstritten, da diese dazu verwendet werden können, dass er/sie an all seinen/ihren Problemen selbst Schuld sei, was zur Stigmatisierung führt. Eine Bekannte von mir arbeitet in der Psychiatrie und glaubt, dass Borderlinern an ihren Traumatas aufgrund ihrer Verhaltensweisen selbst Schuld seien.
      Dass Menschen die im Psychobereich selbst arbeiten so etwas glauben ist traurig, liegt aber an der Stigmatisierung von Persönlichkeitsstörungen und die Borderline-Diagnose ist eine mit am meisten stigmatisierteste Diagnose, selbst (oder gerade) unter Fachpersonal.

      Dass die Borderline-Diagnose völlig überdiagnostiziert ist liegt meiner Ansicht nach auch an der Geschichte der Diagnose. Es heißt ursprünglich lediglich dass ein Mensch zwischen „Psychose“ und „Neurose“ ist und somit nirgends sonst eingeordnet werden kann und manche Ärzte diagnostizieren es auch so.
      Bei mir war es damals so, dass ich als Problem meine Geschlechtsidentität nannte und zusätzlich noch Depressionen hatte und so zur 5-Minuten Fehldiagnose: „Borderline“ (länger hatte ich den Oberarzt nicht gesehen, den Rest machte der Assistenzarzt). Jetzt habe ich meinen Weg mit meiner Transsexualität hinter mir, Gutachterlich mehrmals bestätigt und Richterlich bestätigt und den Ärzten von damals (Uniklinik) ist das so peinlich, dass sie nichtmal mehr meine alten Berichte rausrücken.
      Ist man nur Kassenpatient, muss man sich 5-Minuten Abfertigungen gefallen lassen. Traurig.

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  5. Stichwort: „1/4 aller Borderliner kein Kindheitstrauma (bzw. schlimme Erlebnisse) hätten“

    Wer solche Aussagen macht (nicht Jasper gemeint!), verrät sich als jemand, der von Traumata wenig Ahnung hat. Bei diesem Viertel der so genannten „Borderliner“ könnte es sich nämlich bloß um diejenigen handeln, die – aufgrund schwerer Traumatisierung – keinerlei Erinnerungen mehr an die Geschehnisse ihrer Kindheit haben und/oder dissoziieren. In der FACHwissenschaft ist es mittlerweile anerkannt, dass bei „keine Erinnerungen an sexualisierte oder andere Gewalt“ ein „NOCH“ davor gesetzt werden muss, da gerade Betroffene von schwerer und wiederholter Gewalt innerhalb der eigenen Familie (also durch wichtige Bezugspersonen) diese Erfahrungen häufig aus Überlebensgründen dissoziieren und/oder „vergessen“ müssen.

    Insofern komme ich darauf zurück, dass – wenn endlich mal das Traumakonzept in die diagnostischen Überlegungen miteinbezogen würde – die so genannte „Borderline-Diagnose“ doch eher den Therapeutinnen und Therapeuten als „Trutzburg“ dient, um ihre Angst „vor dem ungebärdigen, wilden, aber auch verzweifelten und höllische Qualen leidenden Kind in ihren Patienten“ abzuwehren. Somit ist es eine „Diagnose“ über die Angst (und Beziehungsstörung) des/der Therapeut/in und keine Aussage zum Zustand des/der Patient/in.

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  6. … zu Risiken und Nebenwirkungen…!
    Ein Problem ist nunmal auch, dass man diesen Satz in aller Regel nur mit Medikamenten in Verbindung bringt. Aber wenn ich mir überlege wieviel Ängste, Depressionen und auch Zeit mich die ganze Unwissenheit und auch Fehlbehandlungen von Ärzten und Therapeuten gekostet hat ist das unglaublich.

    Ich lese immer wieder, dass 1/4 aller Borderliner kein Kindheitstrauma (bzw. schlimme Erlebnisse) hätten und so die Aufrechterhaltung dieser Diagnose als Persönlichkeitsstörung gerechtfertig sei. Was bei dieser Argumentation jedoch nicht oder nur selten mitbedacht wird ist die Tatsache dass solche Zahlen durch Studien zustande kommt, die rein nach Diagnosekriterien des ICD-10 und DSM-IV (in Zukunft dem DSM-V) die Diagnosen stellen und selten andere Faktoren wie Langzeitverlauf oder Ausschluss anderer Diagnosen (wie in meinem Fall, was erst durch Experten stattfand) mitbedacht werden. Zum Glück habe ich inzwischen auch einen guten Psychiater, der mit Transsexualität kein Problem hat, was mich jedoch sehr lange brauchte zu finden.

    Psychiater behandeln leider selten noch Patienten, sondern oftmals nurchnoch Diagnosen, die Aufgrund von Diagnosekriterien gestellt werden und aufgrund dieser dann der komplette Patient und seine Probleme erklärt werden soll. Dass bei einem solchen Vorgehen oft am Patienten vorbeibehandelt und -therapiert wird und Patienten mit komplexen Problemen wie komplexen Kindheitstraumata unerwünscht sind, ist die negative Folgekonzequenz eines solchen Vorgehens.

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  7. Ich fand das sehr interessant, vorallem weil ich knappe zwei Jahre mit dieser Diagnose fehldiagnostiziert wurde, was mir bis zu einem gewissen Grad unerklärlich fand, bis zu diesem Bericht:

    „Therapie wird zum Versuch, Anpassung und Konformität zu erzwingen: Du sollst so sein, wie ich dich haben will, wie alle anderen sind, wie ich denke, dass es richtig ist.“

    Am Ende meiner Therapiezeit hat sich durch etliche Gutachten von Experten (die ich selbst anleiern und zahlen musste) gezeigt, dass ich das habe was ich die ganze Zeit sagte: Frau-zu-Mann-Transsexualität.
    Die Therapeutin war darüber so verzweifelt sich die ganze Zeit geirrt zu haben, dass mir daraufhin (als die Gutachten da waren) von ihr nahe gelegt wurde woanders in Behandlung zu gehen was ich auch daraufhin tat und suchte mir speziell einen Sexualtherapeuten.
    Jetzt wo ich meinen Weg mit der Transsexualität hinter mir habe behandeln mich Therapeuten und Psychiater völlig anders, aber auf diesem Weg sollte ich (in meinem Empfinden) auch ständig „gemaßregelt“ und „erzogen“ werden und es wurde hin und hergedeutet worunter ich sehr litt, denn ich MUSSTE meinen Weg gehen und ich empfinde es als richtig, dass ich mich davon nicht abbringen ließ.

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    • Das ist das Zeugnis von inkompetenten Therapeuten, die rein nach Schema F ihr „Studium“ bzw. ihre Wochenendzusatzausbildung absolviert haben, und streng nach dem Diagnosen – Katalog arbeiten, ihr gesundes Hirn und ihre Menschlichkeit vor der Praxistür ablegen wie einen Mantel, den sie nie basaßen und nur zur Tarnung eines „Helfersberufes“ (Selbsthilfezweck) angelegt haben. Wer wirklich empathisch als Mensch und als kompetente Fachkraft Klienten begleiten möchte, maßt sich nicht an, Diagnosen über Hilfesuchende zu erstellen, sondern reicht ihm mitfühlend erstmal die Hand und begleitet ihn auf einen Stück Weg, bis dieser wieder alleine gestärkt und selbstbewusst weitergehen kann.
      Das vergessen viele Therapeuten, indem sie sich über die klienten (-Auftraggeber) erheben und dem Glauben verfallen sind, das mit theoretischem Wissen angehäuft ist (das meist nur bruchstückhaft vorhanden ist) , aber nichts mit emotionaler Intelligenz oder gesundem Menschenverstand (bzw. Humanität) gemein hat.
      Verkorkste Exiistenzen, die in der Berufswahl eine Selbstheilungsfunktion bezwecken. Wenn sie das wenigstens erkennen und danach agieren würden. Meist weit gefehlt, wie mir scheint, und eher die große Ausnahme.

      Leider all zu oft, wie mir scheint.
      Ich selbst hatte großes Glück, an eine Ausnahme zu geraten. Und das wünschte ich allen Betroffenen, egal welcher Art und Form vom sog. „Andersseins“. Was ist schon Norm??? Das, was die Mehrzahl der Bevölkerung in der jeweilig geprägten Kultur und Norm lebt? Oder das, was reflektierte, kritische und verantwortungsbewusste Menschen leben? Dazu zählen allemal unsere Politiker schon mal gar nicht, geschweige denn das sog. Gros der Gesellschaft!!! Das sollte uns zu denken geben, wer hier als „nomal“ eingestuft wird, und ob das erstrebenswert ist.

      Sarah Mohn

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  8. Judith Herman („Die Narben der Gewalt“) schreibt zu „Borderline“:

    „Besonders berüchtigt ist die Diagnose einer Borderline-Persönlichkeitsstörung. Diese Bezeichnung bedeutet in vielen psychiatrischen Einrichtungen eine wohlformulierte Beleidigung. So gab ein Psychiater mal freiwillig zu: „Als Assistenzarzt fragte ich einmal einen Vorgesetzten, wie man mit Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörung vorgeht. Er antwortete hämisch: ,Man überweist sie.'“

    Die Bezeichnung „Borderline“, so der Psychiater Irvin Yalom, „ist ein Wort, das den ruhebedürftigen Psychiater mittleren Alters in Angst und Schrecken versetzt.“ „Borderline“, so sagen einige Ärzte, ist inzwischen mit so vielen Vorurteilen belastet, dass man auf diese Bezeichnung ganz und gar verzichten sollte, wie auch auf die einstige Diagnose „Hysterie“ fallengelassen werden musste.“

    (Quelle: Judith Herman, 2003, S. 172)

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    • Interessant auch, dass die Gebärmutter hystéra im Griechischem heißt. Und ich könnte wetten, dass die „Diagnose“ Borderliner überwiegend Frauen verpasst wird.

      Beide Bezeichnungen eine Unverschämtheit, weil stigmatisierend! Es wird Zeit, dass sich Ärzte und Psychotherapeuten ordendlich fortbilden und das endlich in der Wortfindung das zur Sprache kommt, worum es geht. Nähmlich um die Unzulänglichkeit der sog. „Fachkräfte“, zumindest der Meisten!

      Ein trauriges Kapitel! Aber die Weißkittelträger scheinen WEIß mit Weisheit zu verwechseln.

      Denn sog. Fachleute „Psychiater, Therapeuten usw. kreiieren Diagnosen und stellen diese dann in einem Diagnosen – Katalog zusammen. Und wer verdient dran? Die Autoren und die Pharmaindustrie. Der Katalog, der in diesem Jahr auf den Markt geschleudert wurde, entbehrt jeglicher Fachkompetenz.
      http://www.spiegel.de/gesundheit/psychologie/dsm-5-das-neue-handbuch-fuer-psychische-stoerungen-und-diagnosen-a-838447.html

      Und würde die Gesamtbevölkerung nach diesen Katalogkriterien untersucht werden, wäre die gesamte Menschheit komplett gestört und psychisch krank. Auch die sog. Fachleute und Autoren. Die Leidtragenden sind jene, die solchen gestörten Fachleuten ausgesetzt werden. Kinder, deren Eltern im Grunde genauer unter die Lupe genommen werden müssten, Hilfesuchende, die sich eine würdevolle Begleitung wünschen, um Krisen, Traumen aufarbeiten zu können.

      Anstellen dessen werden sie mit Diagnosen abgefertigt und mit Psychopharmaka abegespeist. Und wer hats erfunden? Dreimal darf geraten werden.

      Sarah Mohn

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  9. Zitat: „Möglicherweise ist die Borderline-Diagnose doch mehr eine Trutzburg für die Therapeuten, die Angst haben vor dem ungebärdigen, wilden, aber auch verzweifelten und höllische Qualen leidenden Kind in ihren Patienten.“

    Sehr schön gesagt!

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