Dauerhafte Spuren der Kindesmisshandlung im Gehirn

New Haven – Eine Kindesmisshandlung hinterlässt offenbar tiefe Spuren im Gehirn. Sie waren in einer Studie in den Archives of Pediatrics & Adolescent Medicine (2011; 165: 1069-1077) auch im Teenageralter nachweisbar, selbst wenn diese klinisch unauffällig waren.

Kindesmisshandlung ist keineswegs selten. Erin Edmiston von der Yale Universität in New Haven (inzwischen an der Vanderbilt Universität in Nashville) nennt Schätzungen, wonach allein in den USA jedes Jahr 3,7 Millionen Kinder körperlich oder emotional misshandelt oder vernachlässigt beziehungsweise zu sexuellen Handlungen genötigt werden – und dies sei nur die Zahl der bekannt gewordenen Fälle.

Edmiston hat jetzt 42 psychisch unauffällige Teenager (12 bis 17 Jahre), die sich in einem Childhood Trauma Questionnaire an einen Missbrauch erinnerten, mit einem Kernspintomographen (3 Tesla) untersucht.

Die Forscher stellten in verschiedenen Regionen des Gehirns einen Rückgang der grauen Hirnmasse fest, dessen Ausprägung mit dem Ausmaß des Missbrauchs im Childhood Trauma Questionnaire korrelierte. Die Rückgänge wurden im präfrontalen Cortex, im Striatum, in den Amygdalae, den sensorischen Assoziationsarealen des Cortex und im Kleinhirn gefunden.

Die Befunde lassen sich plausibel mit bekannten Folgen der Misshandlung in Verbindung bringen. So könnten Störungen in den präfrontalen Regionen einen bei vielen Missbrauchsopfern beobachteten Kontrollverlust erklären, die Verhalten, Kognition und Emotionen betreffen.

Edmiston unterscheidet zwischen körperlicher Misshandlung (Kinder werden so hart geschlagen, dass es zu Blutergüssen oder Verletzungen kommt), körperlicher Vernachlässigung (Kindern werden Essen, Schutz, Aufsehen oder gesundheitliche Maßnahmen verweigert), emotionalem Missbrauch (verbale Beleidigungen und Drohungen) und emotionaler Vernachlässigung (Entzug von Liebe und Zuneigung) sowie einen sexuellen Missbrauch (Versuch oder Durchführung sexueller Handlungen).

Diese Formen des Missbrauchs hinterlassen unterschiedliche Spuren im Gehirn. So scheint die körperliche Maßregelung die Inselrinde (Insula) zu schädigen. Diese Region hat Edmiston zufolge „interozeptive“ Funktionen. Sie beeinflusse die Körperwahrnehmung und die Fähigkeiten zur Empathie.

Dies passt zu Berichten, nach denen manche körperlich misshandelten Kinder eine dissoziative Identitätsstörung entwickeln, bei der sie zwischen verschiedenen Persönlichkeiten wechseln, ohne dass ihnen dies bewusst wird. Der Rückgang in den sensorischen Assoziationsarealen könnte laut Edmiston eine Störung der emotionalen Gesichtserkennung erklären, die bei vielen Missbrauchsopfern nachweisbar sei.

Die bewusste emotionale oder körperliche Vernachlässigung ging mit einem Verlust an grauer Substanz im Kleinhirn einher, die auch bei Tierversuchen erzeugt werden könne. Dort kommt es über die Ausschüttung von Stresshormonen zu einem Untergang von Hirnzellen.

Bei einer emotionalen Vernachlässigung kommt es auch zu Defiziten in Hippocampus und Amygdala, die zum limbischen System gehören, sowie in anderen Hirnzentren, die für die Verarbeitung emotionaler Signale benötigt werden.

Interessant sind auch geschlechtsspezifische Unterschiede. So wurden bei Jungen vor allem Reduktionen in den Zentren beobachtet, die mit einer Impulskontrolle und Drogenmissbrauch verbunden sind. Bei Mädchen scheint der Missbrauch eher jene Regionen zu schädigen, die mit der Entwicklung von Depressionen in Verbindung gebracht werden.

Das sind zwar logische, letztlich aber spekulative Interpretationen der kernspintomographischen Befunde. Die Editorialisten Philip Fisher und Jennifer Pfeifer vermuten eher komplexe Störungen des neuronalen Netzwerks, die derzeit erst ansatzweise verstanden würden. Bemerkenswert ist, dass die Veränderungen bei Jugendlichen nachweisbar waren, die keine psychiatrische Auffälligkeiten aufwiesen. © rme/aerzteblatt.de
Quelle: Deutsches Ärzteblatt, 06. Dezember 2011, http://www.aerzteblatt.de/v4/news/news.asp?id=48322&src=suche&p=gehirn
30. Dezember 2011 – Bundesrat stimmt Kinderschutzgesetz zu
Wegen finanzieller Bedenken hatte der Bundesrat das Gesetz für einen besseren Schutz von Kindern vor Misshandlungen zunächst blockiert. Bei der Sitzung am 25. November fand das von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) vorgelegte Kinderschutzgesetz keine Mehrheit. Die Ministerin warf den SPD-geführten Ländern vor, „aus parteipolitischem Kalkül dringend notwendige Verbesserungen im Kinderschutz zu verweigern“.

Schröder wollte mit dem Gesetz Kinder besser vor Gewalt und Vernachlässigung schützen. Ihr Ministerium sollte auf vier Jahre befristet mit 120 Millionen Euro den Einsatz sogenannter Familienhebammen unterstützen, die Familien in schwierigen Situationen helfen sollen. Länder und Kommunen fürchteten aber, danach anfallende Kosten übernehmen zu müssen. Einige forderten deshalb, die gesetzlichen Krankenkassen an der Finanzierung zu beteiligen.

Das Gesetz weise in der dem Bundesrat zunächst vorgelegten Fassung „deutliche Mängel“ auf, hatte  Mecklenburg-Vorpommerns Sozialministerin Manuela Schwesig (SPD) bei der Sitzung der Länderkammer gesagt. „Da müssen wir nachbessern.“ Die Linkspartei hatte eine „solide und nachhaltige Basis“ für die Finanzierung gefordert. Kinderschutz dürfe nicht abhängig sein von der schwindenden Finanzkraft der Kommunen.

Ministerin Schröder hatte die Blockade im Bundesrat als „traurig“ bezeichnet. Mit ihrem Entwurf hätte eine „neue Qualität im Kinderschutz“ erreicht werden können. „Die Länder tragen nun die Verantwortung dafür, dass das Bundeskinderschutzgesetz nicht zum 1. Januar 2012 in Kraft treten kann.“ Schröder hatte am 25. November 2011 angekündigt, sich für die Anrufung des Vermittlungsausschusses einzusetzen. Im Bundesrat hatte es auch für diese Anrufung keine Mehrheit gegeben, damit war das Gesetz vorerst blockiert. Der Bundestag hatte die Vorlage im Oktober ohne Gegenstimme beschlossen.

Am 16. Dezember 2011 hat der Bundesrat dem Kinderschutzgesetz nun doch noch zugestimmt. Es kann damit wie vorgesehen am 1. Januar 2012 in Kraft treten. Das Gesetz stärke den präventiven und intervenierenden Schutz von Kindern und Jugendlichen, heißt es in einer Pressemitteilung des Bundesrates dazu.

Das Gesetz war im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat verändert worden: Zukünftig übernimmt der Bund dauerhaft einen Großteil der Mehrbelastungen, die den Ländern und Kommunen durch die Umsetzung des Gesetzes entstehen. Damit kommt er einer Forderung des Bundesrates nach, der sich gegen die ursprünglich vorgesehene Befristung der finanziellen Förderung ausgesprochen und einen Ausgleich für die Länderhaushalte verlangt hatte.

Damit stehen für die Unterstützung junger Familien in schwierigen Lebenslagen – unter anderem durch die Bundesinitiative Familienhebammen und das Netzwerk Frühe Hilfen – in den kommenden beiden Jahren 30 bzw. 45 Millionen Euro zur Verfügung, ab 2014 dauerhaft 51 Millionen. Hierdurch sollen vor allem Kleinkinder von Beginn an vor Vernachlässigung, Verwahrlosung, Gewalt und Missbrauch geschützt werden.

Das geänderte Gesetz wird nun dem Bundespräsidenten zur Unterzeichnung zugeleitet.
Quelle: Dtsch Arztebl 2011; 108(48): A-2576 / B-2156 / C-2128, Bundesrat Drucksache 826/11 (Beschluss)
28. Dezember 2011 – Über das Verzeihen
Viel zu oft bekommen Überlebende sexualisierter Gewalt im Kindesalter den „gut gemeinten“ Rat zu hören, ihren Peinigern doch endlich zu verzeihen, mit „damals“ abzuschließen, um wieder frei und in Liebe leben zu können. Wir haben dieses Thema im Mutmachen-Forum diskutiert, einige Userinnen haben sich mit ihren sehr klugen und erfahrenen Sätzen zu Wort gemeldet, wofür ich ihnen herzlich danke!

http://mutmachen.info/verzeihen.pdf
27. Dezember 2011 – Stress verstärkt Alzheimer-Krankheit
Neuer molekularer Prozess der Alzheimer Pathologie entschlüsselt

Psychischer Stress wirkt sich negativ auf unsere Gesundheit aus und verstärkt oder induziert zahlreiche Erkrankungen. Dass dies auch auf die Alzheimer-Krankheit zutrifft, zeigen Untersuchungen des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München. Im Tiermodell der Ratte konnten die Wissenschaftler nachweisen, dass chronischer Stress die molekularen Prozesse in Gang setzt, die sowohl zur Bildung des neurotoxisch wirkenden Beta-Amyloid-Proteins als auch zur Phosphorylierung des Tau-Proteins führen. Beide Prozesse stehen am Anfang der Alzheimer-Erkrankung und sind Ausgangspunkt für die pathologischen Prozesse, die die Zerstörung von Nervenverbindungen und schließlich das Absterben der Nervenzellen verursachen. Die Folgen sind kognitive Einbußen und Gedächtnisverlust für die Betroffenen. Auch im Tierexperiment zeigen die gestressten Ratten eine deutliche Verschlechterung ihrer Gedächtnisleistung.

Aufgrund dieser Befunde folgern die Autoren, dass Stress die frühen pathologischen Prozesse von Alzheimer fördert und möglicherweise auch mit auslöst. Die Verringerung und Vermeidung von Stress sollte sich also verlangsamend auf die Entwicklung der Erkrankung auswirken.

Weltweit leiden ca. 36 Millionen Menschen an der bekanntesten Demenz-Erkrankung, Morbus Alzheimer. Die Betroffenen leiden unter zunehmendem Gedächtnisverlust, welcher sich bis zur völligen Hilflosigkeit und Orientierungslosigkeit steigern kann. Charakteristische Krankheitsmerkmale sind die Ablagerungen des Eiweißmoleküls Beta-Amyloid in Form von Plaques an Nervenzellen und die Bildung von Tau-Protein Fibrillen, welche zu einem Verlust an Nervenverbindungen und Nervenzellen im Gehirn führt. Während 7-10 Prozent der Krankheitsfälle erblich bedingt sind, ist wenig über die Ursachen der sporadisch auftretenden Alzheimer-Erkrankung bekannt. Auffällig ist jedoch, dass sie erst mit zunehmendem Alter ab 65 Jahren auftritt.

Aufgrund der Beobachtung, dass depressive Patienten ein höheres Risiko haben, Alzheimer zu entwickeln, verfolgen Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in Zusammenarbeit mit Kollegen der Universität von Minho in Braga, Portugal, seit Jahren die Hypothese, dass die Entwicklung beider Erkrankungen durch Stress ausgelöst und beeinflusst wird.

Tatsächlich konnten sie im Tiermodell zeigen, dass Stress die Menge an neurotoxisch wirkendem Beta-Amyloid-Protein vermehrt. In der aktuellen Studie weisen Drs. Sotiropoulos und Catania nun nach, dass auch das Tau-Protein in Folge von Stresshormonen molekular verändert wird. Die nachgewiesene vermehrte Phosphorylierung des Proteins erzeugt die charakteristische Alzheimer Pathologie von Tau-Protein Fibrillen. Die Autoren postulieren in ihrem Modell (siehe Abbildung) eine direkte Abhängigkeit der Alzheimer Pathologie mit einer Abnahme der kognitiven Leistungen von der Menge an phosphoryliertem Tau-Protein.

Inwieweit die Kenntnisse über die molekularen Prozesse auch neue therapeutische Wege für Patienten eröffnen, werden zukünftige Studien klären müssen. Es ist jedoch bereits heute für jeden Patienten von höchstem Interesse zu erfahren, dass Stress den Verlauf der Alzheimer-Erkrankheit negativ beeinflusst und möglichst vermieden werden sollte. „Wer regelmäßig Stress ausgesetzt ist, könnte auf diese Weise anfälliger für Alzheimer werden. Dabei steigt die Anfälligkeit mit dem Alter“, sagt Arbeitsgruppenleiter Osborne Almeida.

Originalveröffentlichung:
Ioannis Sotiropoulos, Caterina Catania, Lucilia G. Pinto, Rui Silva, G. Elizabeth Pollerberg, Akihiko Takashima, Nuno Sousa, and Osborne F. X. Almeida
Stress Acts Cumulatively To Precipitate Alzheimer’s Disease-Like Tau Pathology and Cognitive Deficits
Journal of Neuroscience, May 25, 2011; 31(21):7840-7847
Quelle: Max-Planck-Institut für Psychiatrie, 25.05.2011

Schreibe einen Kommentar