Strafbar durch Nichtstun?

Strafbar durch Nichtstun? – § 13 StGB
27. März 2016
Erläuterungen zum Gesetz – wann macht man sich durch bloßes Nichtstun strafbar?
§ 13 StGB Begehen durch Unterlassen
(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.
(2) Die Strafe kann nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Für Eilige – Kurzfassung:
  • § 13 StGB gilt nur für „unechte“ Unterlassungsdelikte. Das sind all diejenigen Straftatbestände, in denen der Gesetzgeber vom Grundsatz her nur ein „aktives Tun“ mit Strafe bedroht hat. Der Gegensatz hierzu sind die „echten“ Unterlassungsdelikte, bei denen der Gesetzgeber schon in der jeweiligen Vorschrift eine Unterlassung mit Strafe bedroht hat und die grundsätzlich für jeden gelten (z.B. unterlassene Hilfeleistung, § 323c StGB; siehe unten)
  • § 13 StGB besagt nur, daß ein pflichtwidriges Unterlassen strafbar sein kann und ist kein eigener Straftatbestand.
  • Die Abgrenzung zwischen aktivem Tun/Handeln und Unterlassen ist schwierig und wird vom Gericht wertend nach dem Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit vorgenommen.
  • Wichtig ist die Abgrenzung, da Unterlassen bei „unechten“ Unterlassungsdelikten an sich nicht strafbar ist, sondern nur, wenn zusätzlich noch eine Pflicht zum aktiven Handeln hinzukommt, die der Täter verletzt hat. Diese Pflicht zum Handeln besteht nur bei einer sog. Garantenstellung und ist nicht im Strafgesetzbuch geregelt. Sie kann sich aber aus anderen Gesetzen ergeben, die etwas über das Pflichtenverhältnis z.B. zwischen Eltern und Kindern aussagen (vgl. §§ 1601, 1626 Abs.2, 1631 BGB). Die Rechtsprechung hat Fallgruppen gebildet.
  • Angrenzende Themen: Daneben regelt der § 138 StGB die Strafbarkeit der Nichtanzeige geplanter Straftaten und der § 323c StGB jene wegen unterlassener Hilfeleistung („echte“ Unterlassungsdelikte).
Für Ausdauernde – einzelne Erklärungen:
1. Was soll die Strafbarkeit durch Nichtstun?
Der § 13 StGB legt fest, wann ein Nichtstun (ausnahmsweise doch) strafbar ist, z.B.: Tötung durch Unterlassen, weil der Entführer die Geisel verhungern ließ. Das Strafrecht kennt zwei Formen des „Handelns“ durch das jemand sich u.U. strafbar machen kann: Das „positive Tun“ (aktives Tun, z.B. schlagen, wegnehmen einer Sache) und daneben eben das Unterlassen (Nicht-Handeln/untätiges Geschehenlassen, z.B. ein Kind nicht beschützen, nicht auf eine Gefahr hinweisen). Ein Unterlassen ist nur strafbar, wenn eine Pflicht zum Handeln besteht – diese wird Garantenstellung genannt. Dies gilt nicht für „echte“ Unterlassungsdelikte, bei denen ein Nichtstun immer strafbar ist und keine Garantenstellung vorliegen muss (siehe unten).
2. Wann muss man was tun? Pflicht zum aktiven Handeln – „Garantenstellung“
Ein Unterlassen ist nur dann strafbar, wenn überhaupt eine Pflicht zum (aktiven) Handeln bestand.
Diese Pflicht heißt „Garantenstellung“ und bezeichnet die Umstände, nach denen jemand zur Verhinderung eines bestimmten Geschehens verpflichtet ist. Sie ist nicht unmittelbar im Gesetz geregelt, vielmehr haben sich Fallgruppen in der Rechtsprechung herausgebildet.
Die wichtigsten Fallgruppen der Pflicht zum Handeln sind:
Pflichten aus Gesetz, z.B. aus  §§ 1601, 1626 Abs. 2, 1631 BGB, nach denen Eltern und Kinder zum gegenseitigen Beistand verpflichtet sind oder gemäß § 1353 BGB für Ehegatten, ebenso für eingetragene Lebenspartnerschaften. (Das gilt jedoch nicht für Ehe- oder Lebenspartnerschafts-ähnliche Beziehungen.) Auch aus öffentlich-rechtlichen Pflichtenstellungen kann aufgrund von Verkehrssicherungspflichten eine Garantenstellung entstehen, so zB. eine bestehende Streupflicht im Winter. § 21 Abs.1 Nr. 2 StVG (Straßenverkehrsgesetz) verpflichtet den Kfz-Halter, niemanden ohne Führerschein mit seinem KFZ fahren zu lassen. Aus § 60 Abs. 1 SGB I ergibt sich eine Offenbarungspflicht von Tatsachen, die für die Gewährung von (Sozial-)Leistungen wichtig sind.
Freiwillige oder vertragliche Übernahme einer Pflichtenstellung, z.B. einer Kindergartenschwester, eines Babysitters oder von ÄrztInnen. So auch Pflichten, die innerhalb einer Familien- oder Gefahrengemeinschaft von den Beteiligten übernommen worden sind. Zwischen erwachsenen Geschwistern besteht hingegen i.d.R. keine Garantenstellung.
Pflichten aus einem vorangegangenen, gefährlichen Verhalten (sog. Ingerenz)
Wer eine Gefahrenquelle schafft, ist dafür verantwortlich, dass nichts passiert. Dabei muss das Vorverhalten gefahrerhöhend wirken. Nach allgemeiner Ansicht muss dieses Vorverhalten darüber hinaus pflichtwidrig sein, d.h. dass beim pflichtgemäßen Verhalten im Straßenverkehr keine Garantenpflicht besteht, sofern ein Unfall entstand. (Achtung! Dann aber u.U.  Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung.)
Als Beispiel kann man nennen, dass eine Garantenpflicht aus Ingerenz besteht, wenn mehrere eine (vorsätzliche) Körperverletzung begehen, bei deren Verlauf einer der Beteiligten einen Angriff auf das Leben des Opfers vornimmt. Dann ist der andere Beteiligte verpflichtet, diese Gefahr abzuwenden.
3. Andere Normen, die sich auf ein Unterlassen beziehen
Daneben gibt es noch andere Normen, die die Strafbarkeit wegen Unterlassens direkt regeln. Dies sind die sog. „echten“ Unterlassungsdelikte. So z.B. Nichtanzeige geplanter Straftaten, von denen jemand erfährt (§ 138 StGB) oder unterlassene Hilfeleistung (§ 323c StGB).

Bitte lesen und weitergeben!

Ein wunderbarer und so zutreffender Text von Miss Marple, der meine volle Zustimmung findet. Bitte unbedingt lesen und teilen, weitergeben – was auch immer:

„Den unten verlinkten Text habe ich vor ziemlich genau fünf Jahren (!) für die Betroffenen-Selbsthilfeorganisation „netzwerkB“ verfasst. Er benennt zentrale Fragen und Erfahrungen von Betroffenen in einer „aufgeklärten“ Gesellschaft. Er macht vielleicht auch die Komplexität der Erfahrungen und die Nachhaltigkeit der Bürde für die Betroffenen deutlich. Obwohl vor fünf Jahren geschrieben, ist er aktuell wie eh und je.

Zwar meinen viele, nun hätte sich doch schon so vieles für uns Betroffene geändert und schließlich gibt es jetzt doch auch den Unabhängigen Missbrauchsbeauftragten und überhaupt… Und die eine oder der andere mag wahrscheinlich auch gar nichts mehr über das Thema hören – mit all den Flüchtlingen und Kriegen und sonstigen Verrücktheiten auf dem Globus. Tatsächlich aber ist vor allem eines passiert: Das Thema ist wieder weit in den Hintergrund gerückt, ins kollektive Unterbewusste, wo es seit Jahrzehnten vor sich hinschimmelt. Die Aufmerksamkeit der Gesellschaft ist von den Skandalen des Jahres 2010 (Canisius-Kolleg, Odenwaldschule, Katholische Kirche…) wieder abgerückt. Vermehrt wird auch wieder die ZeugInnenschaft von Betroffenen infrage gestellt („Missbrauch mit dem Missbrauch“).

Wer weiß schon, dass in den 2011 so öffentlichkeitswirksam angekündigten Hilfsfonds für Betroffene im familiären Umfeld noch immer nicht alle Bundesländer ihre zugesagten Mittel eingezahlt haben? Wer weiß schon, dass aus diesem Topf bis Ende 2014 gerade einmal ein Betrag von 663.436,81 Euro an Betroffene ausgezahlt wurde, während im selben Zeitraum rund 1,7 Millionen Euro an Verwaltungskosten entnommen wurden??!

Wer weiß schon, dass die Antragstellung auf Leistungen aus dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) für Betroffene einen Höllenritt bedeutet und oftmals mit einer Retraumatisierung ebenso wie mit einer Ablehnung einhergeht? Die im Abschlussbericht der ersten Unabhängigen Missbrauchsbeauftragten Dr. Christine Bergmann geforderte dringende Überarbeitung des OEG lässt bis heute auf sich warten.

Wer weiß schon, dass gerade Betroffene von sexualisierter Gewalt in der Kindheit nicht gerade zu den „beliebtesten“ Patienten von PsychotherapeutInnen zählen und dass selbst viele PsychotherapetInnen mit der Komplexität der Thematik und ihren Folgen in Wahrheit überfordert sind?

Wer weiß schon, dass die 2015 durch den Bundestag öffentlichkeitswirksam beschlossene sog. „Aufarbeitungskommission“ KEINE (!) gesetzliche Grundlage hat (d.h., sie ist nicht einklagbar) und auch ihre Finanzierung bis heute nicht abschließend geklärt ist?

Und, und, und…

Wir Betroffenen, die damals (und bis heute) unter großer persönlicher Kraftanstrengung auf die Menschenrechtsverletzungen und massiven Straftaten gegen Kinder in Deutschland aufmerksam gemacht haben, stecken noch immer in unseren vergewaltigten Leben. Und das wird sich auch nie ändern. Die gesellschaftliche (und persönliche) Ignoranz macht es aber schwerer. „Wie soll ich etwas integrieren, das eine ganze Gesellschaft abspaltet?“, fragte einmal eine Betroffene. Und wie, möchte ich ergänzen, sollen wir jemals Frieden mit unserer Geschichte finden, wenn diejenigen, die durch ihr jahrzehntelanges Schweigen, durch Wegsehen, durch Bagatellisierung der Schäden („sexuelle Befreiung“ usw.), durch Stigmatisierung der Betroffenen und massiver Entschuldigung der Täter („Triebe“), usw., sich bis heute weigern, zu ihrer (Mit)Verantwortung für die STRAFTATEN und gegenüber den Betroffenen zu stehen? Wer ist für die Integration des Unfassbaren verantwortlich?? Tatsächlich die Betroffenen???

Wieviel ist ein Menschenleben wert?

Auf ein besseres Neues Jahr!“

Betroffenenbeteiligung

Betroffene von sexueller Gewalt in der Kindheit sollen sich künftig kontinuierlich an der Arbeit des Unabhängigen Beauftragten beteiligen. Mit der Einrichtung eines Betroffenenrates wird die Einbindung von Betroffenen in politische Entscheidungen auf Bundesebene zum Thema sexueller Kindesmissbrauch sichergestellt. Weiterlesen…