Aufklärende Worte des Psychotherapeuten Klaus Schlagmann zur Psychoanalyse – Teil 1

Ich schreibe als Diplom-Psychologe und Psychotherapeut, der sich seit ca. 15 Jahren mit sogenannter “Psychotherapie” beschäftigt, die letztlich in nichts anderem als Opferbeschuldigung besteht.

Ich will damit auf keinen Fall eine pauschale “Therapeutenschelte” betreiben.

Aber ich will auch auf keinen Fall, dass sog. “Experten” wie Prof. Fegert mit ihren Aussagen die Opfer erneut kränken. Für mich ist die zitierte Aussage Fegerts geradezu eine Unverschämtheit! Und sie liegt – wie auch in der Diskussion schon betont wurde – haargenau in der Linie, die er schon vor 15 Jahren vertreten hat! (Die Glaubwürdigkeit von Opfern anzuzweifeln hat gerade in der Psychotherapie-Szene seit Sigmund Freud ihre Tradition, die bis in die heutige Zeit gepflegt wird. Dazu gibt es auch aussagekräftige Studien – siehe unten.) Und ich finde, bevor Herr Fergert seine Äußerung nicht in aller Form widerrufen hat, sollte er keinen einzigen Cent an Forschungsmitteln mehr zur Verfügung gestellt bekommen. Sonst besteht nur die Gefahr, dass auf Steuerkosten die Lügenpropaganda gegen Missbrauchsopfer weiter pseudowissenschaftlich aufgepeppt wird!

Dazu eine weitere Facette, die womöglich ein Licht wirft auf Herrn Fegerts Einstellung:

Seit Jahren versuche ich unter Kolleginnen und Kollegen auf die Thesen eines Otto F. Kernberg aufmerksam zu machen. Seine Thesen sind schwarz auf weiß nachzulesen bzw. können in einem frei käuflichen Audio-Dokument nachgehört werden. Ein kleines Beispiel seiner “Kunst”, ein kleiner Bruchteil seiner systematischen Menschenverachtung (mehr dazu auf meiner Webseite):

Eine Grundschülerin (“unter 10 Jahre alt”) erlebe die sexualisierte Gewalt durch ihren Vater “in typischer Weise … als einen sexuell erregenden Triumph über ihre Mutter”; sie müsse “ihre Schuld tolerieren”. Erst so werde sie ihre Depressionen los.

Kernberg ist quasi der Papst der Psychoanalyse, gilt als einer der größten Psychoanalytiker und Psychiater der Welt, wird von der Psychotherapeutenschaft gefeiert und verehrt, ist quasi – so, wie Gerold Becker über Jahre als Lichtgestalt der Pädagogik gehandelt wurden – der Heiland der Psycho-Szene, wird weltweit mit Ehrungen und Preisen überhäuft.

Prof. Fegert hatte ich angeschrieben, als ich (wieder einmal) gegen Kernbergs Auftritte hier in Deutschland, diesmal im September 2010 in der Asklepios-Klinik Hamburg Nord, prostestiert hatte. Herr Fegert folgte zwar auf eine gewisse Art meiner Kritik. (“Sie weisen hier auf einen wichtigen Punkt hin. Selbstverständlich ist Herr Kernberg ein Star der Psychoszenen. Gerade deshalb muss man solche Äußerungen zurecht kritisieren.”) Aber er hatte keinerlei Überlegung angestellt, wie er meinen ach so berechtigten Protest etwa unterstützen könnte (etwa mittels eines Schreibens an den dortigen Veranstalter, Chefarzt Birger Dulz).

Interessant wäre vielleicht im Zusammenhang hier zu erfahren, wie Herr Prof. Fegert die Aufrichtigkeit und die Beweiskräftigkeit der Aussagen eines Herrn Kernberg einschätzen würde. Womöglich würde er ihm ohne weiteres zugestehen, als Gutachter vor Gericht in Missbrauchsfällen “professionell” tätig zu werden.

Fegert wies noch im selben Atemzug darauf hin, dass er vor Jahren die Gattin von Herrn Kernberg für eine Woche in seiner Klinik als Gastprofessorion zu Besuch gehabt habe, und sie habe eine “durchaus differenzierte Einstellung” gezeigt.

Nun habe ich tatsächlich noch keine Zeile von Frau Kernberg gelesen, aber genügend von ihrem Gatten. Und ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass man mit einem Herrn Kernberg zusammenleben kann, ohne dass das auf die eigene Einstellung abgefärbt hat.

Wie gesagt: Das ist nur eine kleine Facette, die womöglich nichts oder nicht viel über Herrn Fegert und die Differenziertheit seiner Sicht aussagt.

(Pseudo-)Statistisch untersucht ist allerdings die Auffassung von Psychotherapeuten, wie sie dazu kommen, die Missbrauchsschilderungen von Patienten für glaubwürdig zu halten (Anke Kirsch, 1999: Erste Ergebnisse eines Expertendelphis zum Thema „Trauma und Erinnerung“. Saarbrücken: Arbeiten der Fachrichtung Psychologie des Saarlandes Nr. 190.)

Dort wird der Grad an Zustimmung zu verschiedenen Stellungnahmen prozentual erfasst:

“Hinweise auf eine reale sexuelle Traumatisierung:”
„11.2 Die Pat. suchen zumindest zu Beginn der Therapie die Schuld bei sich selbst, nicht bei dem/der Täter/in.“
Zustimmung: 63,8 % im wesentlichen, 20,3 % völlig.

Wohlgemerkt: Das eigene Schuldgefühl wird hier nicht als (mögliches) „Phänomen“ betrachtet, sondern von 84,1 % der „Experten“ als „Hinweis[.] für eine reale sexuelle Traumatisierung“!

Aber es kommt noch schlimmer:

Hinweise auf eine Phantasie:
„20.4 Die Schuldfrage wird eher externalisiert und bei dem/der Täter/in gesucht.“
Zustimmung: 51,6 % im wesentlichen, 14,1 % völlig.

„20.5 Die Pat. gehen mit einer größeren Überzeugung und Sicherheit davon aus, dass eine sexuelle Traumatisierung stattgefunden haben müsste.“
Zustimmung: 50,8 % im wesentlichen, 13, 1 % völlig.

Das heißt: ca. zwei Drittel der (91 befragten) Experten tun die Missbrauchsschilderungen ihrer Patienten von vornherein als “Phantasie” ab, wenn die Betroffenen die Schuld klar beim Täter suchen und klar vermitteln, dass sie sich sehr gut an die Episoden erinnern können!

Um überhaupt ernst genommen zu werden, muss man – bei statistisch 2/3 aller Therapeuten – in der Darstellung der Situation also einerseits durchklingen lassen, dass man ja eigentlich gar nicht glaubt, was man da erzähle, und dass man auf jeden Fall auch die Schuld dafür bei sich selbst suche!

Wenn man dabei dann nicht verrückt wird!

An der Befragung für die Studie hatte ich mich damals übrigens auch selbst beteiligt. Die Studienleiterin hatte ich noch ausführlich darauf hingewiesen, dass etliche Fragen manipiulativ formuliert waren, weil ich einem Teil solcher Fragen völlig zustimmen müsste., dem anderen Teil jedoch völlig widersprechen. Es war aber nur Zustimmung oder Ablehnung bzgl. der Gesamtäußerung möglich. Deshalb konnte ich dann zu etlichen Fragen einfach keine Antwort ankreuzen.

Meine Antwort war dann (wie auch die von zwei anderen Kollegen) aus der Auswertung der “Studie” ausgeschlossen.

Damals, 1999, hatte ich meine Antwort an die Studienleiterin auf die Befragung übrigens bereits mit einer eingehenden Kritik an Kernbergs Positionen verbunden. Ich ahnte damals noch nicht, dass die Studienleiterin noch im selben Jahr mit einem Artikel der Koryphäe Kernberg Schützenhilfe leisten würde. Sie hat für dasselbe Heft, in dem Kernberg seine Thesen publiziert hat, einen Aufsatz zur Phantasie und Wirklichkeit bei Missbrauchsopfern beigesteuert (Anke Kirsch, 1999: Trauma und Wirklichkeits(re)konstruktion: Theoretische Überlegungen zu dem Phänomen wiederauftauchender Erinnerungen. In: Persönlichkeitsstörungen – Theorie und Therapie (PTT), Jahrgang 3, Heft 1, S. 45-53)

Auf meine Kritik habe ich nie eine Antwort bekommen, mein Protest wurde abgebügelt.

Dies als Einstieg in dieses Forum. Es würde mich freuen, wenn sich von hier aus ein wenig Widerstand gegen die so genannte “Expertenschaft” mobilisieren lässt, damit diejenigen, die in solche Hände geraten, nicht mehr allzu lange hilflos ausgesetzt bleiben.

©Klaus Schlagmann
(Diplom-Psychologe, Saarbrücken)

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